Mittlerweile lese ich fast gar keine Belletristik mehr. Entweder ich vergrabe mich in den Aktenordnern oder bin im Internet und der Gemeinde unterwegs. Geschichten mit Anspruch bekomme ich damit genug.

Übrig bleiben politische und biographische Bücher, gerne zum Hören beim Einschlafen; zwei eBooks sind aber auch dabei. Und dann doch ein bisschen Belletristik – auf Postkarten.
Los geht es mit Anna Schneider: Freiheit beginnt beim Ich. Liebeserklärung an den Liberalismus. Auf knapp 90 kleinen Seiten erklärt Anna Schneider, warum und wie sie Liberalismus am liebsten mag. Dabei geht sie mit ihren Ansichten bis ins Libertäre, was für meine Begriffe deswegen funktioniert, weil sie die Konsequenzen nicht durchdeklinieren muss. Impffreiheit versus Impfpflicht bei Masern oder Corona wären dafür ein Beispiel. Ich mochte Anna Schneiders Gedankengänge trotzdem sehr. Endlich einmal etwas, das ich nicht schon tausendmal gehört hatte und das darum wirklich anregend war. Aber man muss es eben auch zu Ende denken. Darum wünsche ich mir einen zweiten Teil mit weiteren gedanklichen und praktischen Schritten. Auch deswegen, weil dieses Buch so frisch und frei geschrieben war. Dass nicht Wort für Wort vorauseilend glattgelutscht wurde, fiel mir richtig auf. Davon läse ich gerne mehr.
Die Sache mit Israel. Fünf Fragen zu einem kompliziertem Land versucht Richard C. Schneider zu beantworten. Das macht er auch dieses Mal wieder so, dass er beide Seiten sieht, ohne Israels Interessen preiszugeben. Dazu schreibt er sehr verständlich, indem er die Zusammenhänge begründet, statt Insiderwissen vorauszusetzen. Für mich ist Richard C. Schneider außerdem immer ein gutes Korrektiv, das meine pro-israelischen Ansichten mehr Richtung Mitte rückt.
Kai Diekmann hat auch ein Buch geschrieben und selbst eingelesen: Ich war Bild. Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen. Was für ein tolles Buch! Spannend, politisch, boulevard, aber immer mit Niveau. Das muss man in der Mischung erstmal hinkriegen. Daran und an der Sprache kann man sich für Predigt und Gemeindebrief einiges abgucken. Wobei Diekmann mit dem Buch hier und da tatsächlich an seiner Heiligsprechung zu arbeiten scheint und an der von Helmut Kohl und Maike Kohl-Richter gleich mit. Aber frei nach dem altbekannten Slogan kann man sich dazu ja eine eigene Meinung bilden.
Prinz Harry: Reserve. Über das Buch hat in diesem Jahr die ganze Welt gesprochen, ich kann mich also kurzfassen. Was ich gruselig fand, war, wie die einzelnen Familienmitglieder häufig nicht als Personen, sondern als Einheiten mit Vorzimmer miteinander redeten, ohne daraus aussteigen zu können oder zu wollen. Oma zwischendurch einfach mal so anrufen – Fehlanzeige. So wird automatisch alles zu System und Politik und damit schon fast von allein toxisch. Großartig besetzt fand ich Steffen Groth als Vorleser: Er hat einen leicht nasalen Klang in der Stimme, genau so, wie ich mir das bei einem britischen Prinzen vorstelle.
Daniel Krug hat die Tagebücher seines Vaters Manfred Krug eingelesen. Teil 1, Ich sammle mein Leben zusammen (1996-97), im letzten Jahr und Teil 2, Ich bin zu zart für diese Welt (1998-99), in diesem. Man kann ihm dabei zuhören, wie er beim Lesen seine Rolle findet, mit der er sich zu den Geschichten seines Vaters ins Verhältnis setzt. Ich erfuhr einiges aus der Schauspieler- und Künstlerszene der DDR und der Nachwendezeit. Davon wusste ich bisher fast gar nichts; nur Klüngel gibt es überall. Ich kannte Krug vor allem als „Liebling Kreuzberg“. Diese Mischung aus zart und handfest fand ich in den Tagebüchern wieder. Dazu entpuppte er sich beruflich und privat als Egozentriker, da hätte ich mit dem Umfeld oftmals nicht tauschen wollen. Aber ich mag ihn trotzdem und seine Tagebücher auch.
Deswegen kaufte ich mir direkt hinterher Jurek Beckers Neuigkeiten: An Manfred Krug & Otti; vorgelesen von Manfred Krug. Ich bin an Beckers und Krugs Werk nicht nah genug dran, um diese kurzen Grüße und Sentenzen, die Becker über Jahre an Krugs auf Postkarten schrieb, angemessen würdigen zu können. Ein bisschen wie bei einem Rotwein, der einem schmeckt, ohne dass man wüsste, was man da eigentlich trinkt. Und wie beim Wein klappt das auch hier ganz prima.
Von der Literatur auf Postkartengröße zurück in die Politik. Christian Lindner: Die Schattenjahre. Die Rückkehr des politischen Liberalismus; gelesen von Frank Stieren. Lindner beschreibt den Weg der FDP von 2013, als sie aus dem Bundestag flog, bis 2017, als sie zurückkehrte. Das fand ich aus zwei Gründen spannend: Zum Einen, weil Lindner erläutert, was die Partei und er an konzeptionellen Arbeiten unternommen haben, um wieder nach vorne zu kommen. Zum Anderen bin ich selbst vor drei Jahren in die FDP eingetreten. Vieles von dem, was ich in Lindners Buch hörte, hatte in den Jahren davor meinen Weg zum Eintritt geebnet. Namentlich, dass sich das Profil der Partei von einem verzopften Anhängsel der CDU zu einer offenen und eigenständigen Partei verändert hat. Durch das Buch konnte ich am Stück erkennen, was ich in meiner Entscheidungsfindung immer mal wieder wahrgenommen hatte, ohne dass es irgendwie gebündelt gewesen wäre. Auch wenn die in diesem Buch beschriebene Zeit nicht mehr tagesrelevant ist, finde ich es hilfreich, um zu verstehen, wohin die FDP will.
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