Raucherin der Herzen

Heute bin ich zehn Jahre rauchfrei, ohne jeden Rückfall.

Meine letzte Zigarette rauchte ich am 28. Februar 2014 vor dem Eingang der Zahnklinik, wo ich um halb drei einen Termin hatte. Um 14:16 Uhr machte ich die Zigarette aus. Dieser Post geht exakt zehn Jahre später um die gleiche Uhrzeit online.

Ich bin Kettenraucherin gewesen und ich habe es geliebt. 50 bis 100 Kippen am Tag, das waren im Schnitt ein Päckchen halfzware Tabak (damals 50 g) plus eine Big Box (damals 30 Filterzigaretten). Wenn die Bude so verquarzt war, dass es wie Katzenpisse roch, war es mir gerade recht. Ich war Raucherin aus Leidenschaft. Schon allein deswegen würde ich nie eine E- oder Dampfzigarette ausprobieren, das Zeug ist für Luschen.

Als der Husten irgendwann nicht mehr wegging und eine Stelle in meinen Bronchien dauerhaft anfing zu rasseln und zu jucken, bekam ich es mit der Angst zu tun. Noch mehr fürchtete ich mich allerdings davor, dass die Brücke von den Zähnen müsste, wenn die Wurzelspitzenresektion nicht klappte. Die Zahnklinik ist spezialisiert auf Menschen mit Zahnbehandlungsangst, aber von Kronen, die runtermüssen, hatte ich bisher nur Horrorgeschichten gehört.

Also war ich nach dem Termin bereit, die befohlenen 24 Stunden nicht zu rauchen, damit sich nichts entzündet. Als ich vom Zahnarzt nach Hause kam, klebte ich mir sofort ein Nikotinpflaster auf den Arm, damit der Pegel erst gar nicht absank, legte mich ins Bett und schlief mit kurzen Unterbrechungen bis zum nächsten Morgen. Da ich von der Behandlung fix und fertig war und noch nicht unter seniler Bettflucht litt, ging das damals noch.

Der nächste Tag war ein Samstag. Was ich am Vormittag machte, weiß ich nicht mehr, aber auf einmal waren 24 Stunden um. Ich war immer noch clean und es fiel mir nicht schwer. Also wechselte ich das Pflaster und beschloss, es über das Wochenende, bis Montag Morgen, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und so weiter zu versuchen. To make a long story short: Ich habe nie wieder angefangen und die drei Stärken Nikotinpflaster innerhalb von drei Wochen abgefrühstückt. Für Notfälle hatte ich sie allerdings noch jahrelang im Haus, ohne sie jemals wieder zu benutzen.

Als wenig später jemand aus meinem Inner Circle im Internet und kurz darauf meine Mutter an Lungenkrebs erkrankten, war die Sache entschieden: Ich würde erstmal ohne Rauch bleiben. Zwei bzw. drei Ausnahmen gestand ich mir zu: Die Zigarette „danach“ und dass ich wieder rauchen darf, wenn ich mit 71 Jahren noch lebe oder vorher so krank bin, dass es ohnehin wurscht ist. So weit ist es bisher noch nicht gekommen und dass man Sex ohne Kippe im Anschluss haben kann, erstaunte mich lange. Aber es geht und selbst diese Zichte ist mir mittlerweile egal.

Relativ schnell war mir außerdem klar, dass ich den Entzug auf meine Weise wuppen musste. Ich fand „Endlich Nichtraucher“ von Allen Carr zwar gut, aber letztlich geht man den Weg aus der Sucht für sich und allein. Also verhielt ich mich so, wie es mir gerade in den Sinn kam. Im Kopf hatte ich damit am wenigsten zu tun, ich hatte das Thema so oft durchgespielt, dass es darauf nicht mehr ankam. Jetzt ging es ums Machen. Dafür ab sofort beide Hände frei zu haben, fand ich praktisch.

Obwohl ich kein Morgenmensch bin und außer im Sommer frühstens am Spätvormittag oder abends dusche, brauste ich mich plötzlich wie ferngesteuert jeden Morgen nach dem Aufstehen ab. Und den Tee, schwarz und damals auch viel Rooibos, trank ich doppelt bis dreifach so stark wie sonst. Beides verlor sich im Laufe des ersten Jahres wieder. Dafür wurden vor allem positive und energiereiche Situationen in den ersten Monaten von Sodbrennen begleitet. Ich habe mit vielen ehemaligen Raucherinnen und Rauchern gesprochen, die das ebenfalls in unterschiedlichen Schattierungen kannten. Nur die Medizin weiß nichts davon, zumindest wenn man Google glaubt.

Außerdem heißt es, man soll in der ersten Zeit Alkohol meiden. Daran habe ich mich von Anfang an nicht gehalten und fand es hilfreich. Den Großteil der Zigaretten vermisste ich ohnehin nicht. Das ist der Vorteil, wenn man Kettenraucherin war: Rauchen, atmen, atmen, rauchen, rauchen, atmen – es war irgendwie alles dasselbe. Dann konnte ich es auch beim Atmen belassen.

Die wichtigste Erkenntnis traf mich vier Wochen, nachdem ich aufgehört hatte. Anfang April war ich eingeladen zum Dienstjubiläum eines alten Bekannten, Chef einer AIDS-Hilfe, in der ich in jungen Jahren eine Zeitlang unterwegs war. Ich brauchte zum Rauchen ja nicht mehr raus, darum blieb ich während der Feier drinnen und fühlte mich mega unwohl. Aber mich zu den Rauchern zu setzen, fand ich zu gewagt. Doch schnell war ich es leid. Denn alles, was man je über die langweiligen Nichtraucher auf einer Party gehört hat, ist wahr. Die Lustigen und die Coolen treffen sich in der Raucherecke. Also bin ich hin, Treppe runter, vor die Tür, wo sie standen und lachten. Ich setzte mich dazu, bekam einen leichten Tremor, während gleichzeitig völlig klar war: Hier gehörte ich hin, als Raucherin der Herzen und ich fange trotzdem nicht wieder an. So herum wurde für mich ein Schuh draus.

Immer noch bin ich erstaunt, wie leicht es ist, nicht zu rauchen. Man lässt es einfach sein und fertig, da hat Allen Carr völlig recht. Aber die Zeit muss reif dafür sein, sonst klappt es nicht. Bis ich aufhörte, jeden Tag ans Rauchen zu denken und automatisch jedes neue Areal nach Aschenbechern und Raucherkäfigen abzuscannen, hat es gleichwohl sechs, bis ich damit durch war, acht Jahre gedauert. Irgendwann in der Zeit schaffte ich mir auch wieder ein Feuerzeug an, um Kerzen oder die Petroleumlampe anzuzünden. Danach muss es sofort wieder in die Schublade. Es darf nicht auf dem Tisch liegen und ich darf es nicht in die Hosentasche stecken. Bis heute befindet sich im Kühlschrank ein Flaschenöffner, damit ich erst gar nicht auf die Idee komme, das Weizen mit dem Feuerzeug aufzumachen. Das ginge nur, wenn ich mit jemandem draußen bin. Aber das geschieht nur noch selten und die Leute, mit denen ich dann verabredet bin, rauchen mittlerweile selbst nicht (mehr). Zigaretten, Schachteln oder Tabakpäckchen anfassen geht natürlich auch nicht. Den Rauch rieche ich nach wie vor gern. Das kann man alles schräg finden, das ist OK. Meine Sucht, meine Regeln. Ich habe bis zu 100 Zigaretten am Tag geraucht und muss nicht diskutieren, um clean zu bleiben.

Interessant war, wie sich peu à peu mein Geruchssinn reaktivierte. Urplötzlich riecht man irgendwelche unerwarteten Dinge sehr intensiv, bis sich das Geruchsfeld wieder geordnet und die verschiedenen Düfte als normal oder alltäglich definiert hat. Als ich Hörgeräte bekam und diverse Dinge auf einmal wieder hören konnte, verlief es ähnlich. Ein wirklich schönes Erlebnis war das beim Geruchssinn nicht. Menschen riechen nicht gut, wenn man sie nicht durch einen Nikotinfilter wahrnimmt, sondern nach einem Potpourri aus Waschmittel, Parfum, Heizung, Socken, Mund, Zimmer und sich selbst. Und selbst die frischeste Hähnchenbrust umweht bis zur Zubereitung ein Hauch von Aas. Das stellte ich fest, als ich mit Frau K. von einem Besuch in der Gelsenkirchener ZOOM Erlebniswelt zurückgekehrt war und uns etwas kochen wollte. Daran erinnere ich mich bis heute.

Apropos kochen: Das Einzige, was wirklich blöd ist, sind die 20 kg, die ich zugenommen habe. Nun wäre ich heute so oder so nicht mehr schlank, aber dass die noch obendrauf kamen, hat mit dem Rauchstopp zu tun. Es geht ein Drittel mehr rein, sonst stehe ich hungrig vom Tisch auf. 30 Jahre Nikotin hinterlassen im Stoffwechsel ebenfalls Spuren.

Doch davon abgesehen bereue ich nichts. Die Kippen nicht und das Aufhören auch nicht. Den Zahn von damals habe ich trotzdem nicht retten können. Die Brücke musste runter und das war überhaupt nicht schlimm.


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