Die Farben, der Alltag, die Narben

Dass ich das Chamäleon fotografiert habe, ist mittlerweile über einen Monat her. Da war ich zum ersten Mal in diesem Jahr und nach allem, was los war, auf dem Bogenparcours. Anfänglich nur auf dem unteren, kleinen Teil, um langsam in die Gänge zu kommen. Letzte Woche ging ich dann erstmals wieder auf die Anhöhe, aber mein Knie fand, das war noch keine gute Idee.

Kopf und Oberkörper des bunten Gummichamäleons auf dem Parcours. Da wo ich die Ohren vermuten würde, steckt ein Pfeil und lehnt meine Bogenspitze. Man sieht mit Mühe noch zwei weitere Pfeile, eher unter dem Gummitier.

Das Bogenschießen nutze ich nicht nur, um mich zu bewegen, sondern auch um mich zu sortieren. Ein buntes Chamäleon, das in allen Farben gleichzeitig leuchtet, statt sich je nach Umfeld für eine zu entscheiden, spiegelt meine Gemütsverfassung ziemlich genau wider: Unsortiert, unfertig, unklar, auch wenn die Farben eigentlich ganz schön sind. Obwohl äußerlich alles ist wie bisher und es hinter den Kulissen sogar aufwärts geht, habe ich doch ein neues Level freigeschaltet. Außerdem hat mich der Alltag wieder.

Es sieht aus, als bleibe ich noch länger hier und dann sind da noch die Aktenordner. Aber wo das schließlich hinführt, keine Ahnung. Vor 15 Jahren wäre mir das halbwegs egal gewesen. Mittlerweile bin ich jedoch in einem Alter, in dem ich Sorge trage, wieder an der falschen Stelle zu landen und dort hängen zu bleiben wie mit Pattex. Was die richtige sein könnte, weiß ich allerdings auch noch nicht.

Dabei läuft es in der Gemeinde nach wie vor gut. Ich bin dort wirklich glücklich, auch wenn mich die Wiederkehr meines inneren Pietkong immer noch ziemlich verwirrt. An Trinitatis bin ich zum ersten Mal im Abendgottesdienst gewesen, der von Gemeindegliedern vorbereitet wird, mit freier Form, Lobpreis und Stationen. Es hat mir gefallen, auch wenn ich Lobpreisgottesdienste ohne Anlass in meinem Umfeld nicht von selbst besuchen würde. Sogar die Predigt durch einen ECler aus einer umliegenden Stadt war gut, obwohl ich mich anfänglich aufgrund früherer schlechter Erfahrungen kaum hinzuhören traute.

Holzkreuz mit einem Holztisch davor, auf dem Blumen und brennende Kerzen stehen. Das Ganze wird mit rotem und violettem Licht angestrahlt, sodass eine schöne, kitschig-moderne Atmosphäre entsteht.

Was mir an dieser Gemeinde imponiert, ist, dass die Leute die Dinge einfach selbst in die Hand nehmen, wenn sie meinen, dass es gemacht werden soll. Das ist etwas, das ich in dieser Souveränität bisher nur in missionarischen Gemeinden erlebt habe und in dem ich mich wie selbstverständlich bewegen kann. Du kriegst die Pfarrerin aus dem Sauerland, aber das Sauerland nicht aus der Pfarrerin. Wobei ich durchaus finde, dass es dazugehört, mich damit auseinanderzusetzen, wenn mein Beruf, mein Glaube und meine Lebenserfahrung an diesem oder einem anderen Punkt aufeinander treffen und ich mag das auch sehr. Aber die gesetzliche Enge, die in dieser Frömmigkeitstradition hinter jede Ecke lauert, ist gefährlich und das macht es schwer.

Anstrengend ist auch, dass sich in den kirchlichen Strukturen nichts geändert hat. Die Kollegen, meistens die männlichen, aber nicht nur; das Patriarchat, die miesen Spielchen, die Selbstverständlichkeit, mit der männliche Pfarrer meinen, die Definitionsmacht zu besitzen, das Parochialsystem… Für eine kleine Weile hatte ich den ganzen Driss vergessen. Doch es gibt immer ein paar Typen, die dafür sorgen, dass das nicht von Dauer ist. Immerhin bekam ich dieses Mal Unterstützung von anderen Frauen. Ich bin damals nicht umsonst weg von der hergebrachten Struktur ins Internet gegangen. Sechs Wochen zurück im Dienst und ich weiß wieder, warum das so war und trotz Elon und einiger Deppen, die man auch in der digitalen Kirche findet, immer noch ist.

Der DeLorean (ein gut zehn Jahre alter weißer Renault Clio) von der Seite vor einer Laubhecke im Sonnenlicht, sodass man die Dellen in der Tür kaum sieht.

Die bestellten Möbel werden nächste oder übernächste Woche geliefert. Ein Stück fehlt noch und vorher soll jemand kommen, der die alten Sachen rausträgt. Zur Aquagymnastik gehe ich ebenfalls wieder. Ich bin heilfroh, wieder dabei zu sein, doch das Knie ist immer noch etwas ramponiert. Blöderweise bin ich gestern beim Austeilen der Eucharistie an den Altarstufen gestolpert und habe mich aufs Neue verdreht. Der DeLorean ist repariert. Ich ließ nur das Nötigste machen, Hauptsache sicher und fährt. Dass man die Dellen in der Tür noch sieht, im Schatten mehr als im Licht, ist mir einerlei.
Heute hatte ich einen Termin bei der Ärztin wegen (wie sich herausstellte) dreier Fäden, die sich nicht aufgelöst hatten und ziemlich nervten. Jetzt sind sie draußen (Aua!), aber ich habe für die nächste Zeit wieder Sitzbäder gewonnen. Die Wiedereingliederung endete Pfingstmontag, seit dem bin ich zurück im regulären Dienst. Den ersten Abend auf dem Balkon verbrachte ich am Maifeiertag. Es war erstaunlich ruhig. Außerdem habe ich eine neue Petroleumlampe. Nachts nehme ich sie jetzt immer mit rein, um das Mindeste über die Verhältnisse im Haus zu sagen.

Auf Facebook erfuhr ich, dass der Blogger Theomix gestorben ist. Ich hatte ihn aus Gründen blockiert, gleichwohl gehörte er zu den ersten Leuten, die ich im Internet kennenlernte. Meine Nenntante, die beste Freundin meiner Mutter, ist ebenfalls gestorben. Ich sah sie das letzte Mal an dem Tag, als mein Bruder beerdigt wurde. Zwei Monate später war sie tot. Ich las es kürzlich, als ich sie gegoogelt hatte.

Der #DiätKater schläft auf der unteren Ecke meines Bettes. Im Hintergrund die Heizung und meine Klamotten auf einem Herrendiener,

Dem #DiätKater geht es den Umständen entsprechend gut. Die Zahn-OP hat er hinter sich. Fünf Zähne wurden wegen FORL gezogen. Danach brauchte er einige Tage länger als erwartet, um sich zu erholen. Zusammen mit Frau K. war ich darum am Wochenende nach der OP mit ihm beim Notdienst, wo die Tierärztin riet, weiter abzuwarten. Am nächsten Tag ging es ihm tatsächlich besser. Oder er hat sich zusammengerissen, um zu zeigen, dass weitere Arztbesuche nicht erforderlich sind. Es wäre nicht das erste Mal, dass der #DiätKater etwas willentlich durch sein Verhalten mitteilt.

Nur das Schilddrüsenmedikament verträgt er nicht. Er hat eine Anämie davon bekommen und zwar nicht bloß Eisenmangel, sondern so, dass richtig Blut fehlt, weil es nicht mehr gebildet wird. Also wurden die Tropfen abgesetzt. Statt dessen hatte ich die Wahl, ihm künftig jodreduziertes Futter zu geben oder ihn für 5.000 Euro stationär radiologisch an der veterinären Universitätsklinik in Gießen behandeln zu lassen. Ich entschied mich für das Futter. Eine Behandlung zu dem Preis und mit dem psychischen Stress für einen Kater, der aufgrund seines vorgerückten Alters die Lebenserwartung eines Goldhamsters hat, erschien mir nicht angemessen. In der Tiermedizin hat es in den letzten Jahren größere Fortschritte gegeben. Trotzdem finde ich, was ich auch beim Menschen meine: Dass man nicht alles um jeden Preis machen muss. Als Pfarrerin betrachte ich diese Dinge oftmals anders als manch junge Tierärztin. Gleichzeitig achte ich darauf, dass der #DiätKater kriegt, was er braucht. Für Zähne und Schilddrüse musste ich knapp 2.000 Euro berappen; das Spezialfutter kostet um die 13 Euro pro Kilo. Von falscher Sparsamkeit kann also nicht die Rede sein.


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