
Seit letzten Herbst hat sich einiges angehäuft: Bücher, CDs, eine DVD und sogar ein Bob-Dylan-Quiz. Ich habe noch gar nicht alles gelesen, geschweige denn das Quiz ausprobiert. Anderes wiederum ist bereits durchgenommen, aber Lust es zu verbloggen, hatte ich aus unterschiedlichen Gründen trotzdem nicht. Immerhin kann ich festhalten, dass ich mich nicht nur dem Internet und den Aktenordnern zuwende, sondern auch anderen Informationsträgern. Zwei Bücher und zwei Mal Musik mochte ich besonders:
Mein absolutes Highlight war der Roman „Notizen zu einer Hinrichtung“ von Danya Kukafka, veröffentlicht bei Blumenbar in den Aufbau Verlagen und aus dem Amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea O’Brien. Die Geschichte ist eigentlich ein Thriller. Sie beschreibt die letzten zwölf Stunden des Serienmörders Ansel Packer aus der Perspektive verschiedener Frauen, mit denen er zu tun hatte. Ich schwöre, das ist das beste und spannendste Buch, das ich seit Jahren gelesen habe! Dabei mag ich gar keine Krimis und der feministische Twist, über einen Killer zu schreiben, ohne ihn zu einem mehr oder weniger tragischen Helden zu machen, ist mir auch erst später durch die Kritiken aufgegangen. Möglicherweise war mir das ohnehin selbstverständlich; sicher war ich vor solchen Überlegungen längst von der Sprache fasziniert, in der dieses Buch gehalten ist: Präzise, lakonisch, illusionslos und genau aus dieser Unaufdringlichkeit heraus intensiv. Mich hat lange nichts Belletristisches so gefesselt, ich dachte, das ginge gar nicht mehr. Deswegen freue ich mich so.
Die Anthologie von Alan Posener, „Shot of Love. Fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Songs von Bob Dylan“ (Lukas Verlag), ist während Corona entstanden, hier findet sich bereits ein Verweis. Posener meditiert die Texte einzelner Lieder: Er greift heraus, was er über Dylan, die jeweiligen und andere Songs und als ehemaliger Lehrer für Deutsch und Englisch fachkundlich über Textinterpretation weiß. Dann verwebt er das Gefundene mit eigenen Gedanken und einem reichhaltigen erhörten und erlesenen Wissensschatz. Das führt zu interessanten Ergebnissen, die weit entfernt sind von der Liebedienerei, mit der dem Songwriter üblicherweise die gefundenen Kryptozitate hinterhergetragen werden. Dass man dieses Buch liedweise lesen kann, immer eines pro Kapitel, portioniert die Fülle und macht sie leicht. Die Idee, die Originaltexte der Songs als QR-Code an den Kapitelanfang zu setzen, weil die Lizenzen nicht zu bezahlen gewesen wären, ist ebenfalls gelungen. Jedesmal habe ich irgendein Internet griffbereit neben dem Buch liegen, das ich gerade lese, um bei Bedarf etwas nachzuschlagen. Schön, damit einmal vom Autor abgeholt zu werden. Dafür, dass Posener offenbar auch noch Ray-Charles-Fan ist, gibt es außerdem einen Extrapunkt.
Weiter geht es mit der Musik selbst. Bob Dylan hat zwei Konzertmitschnitte aus Japan veröffentlicht: „The Complete Budokan 1978“. Das wurden vier technisch ausgezeichnet aufbereitete CDs, ein Booklet und eine Mappe mit nachgedruckten Plakaten und Postern aus der Zeit, verpackt in drei einzelnen und einem großen Schuber im Langspielplatten-Format. Sehr ansprechend gestaltet und folglich schweineteuer. Das ist ja so ein bisschen das Problem mit Dylans jährlichen Archiv- und Bootleg-Veröffentlichungen: Dass sie in erster Linie dazu dienen, den Epigonen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber hübsch sind sie eben doch.
Rückblickend zählt Budokan meiner Meinung nach zu einem der Höhepunkte in Dylans Oeuvre, weil es sich auf dem Scheitelpunkt zwischen dem jungen Dylan und allem, was danach kommt, befindet. 1978 wurde er 37 Jahre alt. Die Aufnahmen zeigen, dass er Spaß an der Performance hat, die durchgehend wie eine große Jam Session klingt. Der Tambourine Man tiriliert dank Flötenbegleitung, als hätte er zu viel Kaffee getrunken – ich glaube, einfach weil Dylan Lust dazu hatte. Wenn man einigermaßen in Bob Dylan eingehört ist, kann man von diesen Konzerten aus einige Linien in die Zukunft ziehen, in die Vergangenheit sowieso. Zusammen mit der guten Laune macht das den Reiz dieser Aufnahmen aus.
Egal in welcher Phase seines Schaffens, Bob Dylan hat seinen eigenen Stil. Das ist für manche nur eine freundliche Umschreibung schreddeliger Tatsachen, gerne dadurch ergänzt, dass er erst richtig gut wird, wenn man ihn covert. Alles drei irgendwie wahr. Rory Block (der Name passt zur Stimme) hat jetzt eine CD mit neun Remakes veröffentlicht: „Positively 4th Street. A tribute to Bob Dylan“. Das Besondere daran ist, dass sich Block auch an den ganz alten Dylan wagt. Am Ende an das fast 17 Min. lange „Murder Most Foul“, das bei Block knapp vier Minuten länger ist. Wobei ich noch nicht weiß, ob das wirklich funktioniert hat, also ob man es überhaupt covern kann. Vorher kommt „Mother of Muses“, was demgegenüber sehr beeindruckend ist. Nachstehend Dylans Original und Blocks Version zum Vergleich:
Bob Dylan auf „Rough and Rowdy Ways“ (2020):
Rory Block auf „Positivly 4th Street. A tribute to Bob Dylan“ (2024):
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