Die aus’m Osten

Das Hörbuch auf meinem iPad, die DVD-Hülle von Bettina Wegner und das Buch "Abgehauen" auf meinem Wihnzimmertisch zwischen Herbstblumen und brennender Stumpenkerze.

Wenn man einen richtig großen Preis verliehen bekommt, geschieht das in der Regel nicht plötzlich und unerwartet, sondern es wird vorher nachgehorcht, ob man ihn auch annehmen würde. Manfred Krug beschreibt das sowohl im zweiten als auch im neu herausgegebenem dritten Band seiner Tagebücher „Ich beginne wieder von vorn. Tagebücher 2000-2001“; in der Audiovariante wieder bestens vorgelesen von seinem Sohn Daniel Krug.

Bezüglich der Preise lautete die Antwort Manfred Krugs in allen Fällen gleich: Er würde die Auszeichnung annehmen, wenn er sie auch erhalten würde. Hingehen und die Veranstaltung zusammen mit weiteren Promis aufmöbeln, alle angelockt von der möglichen Trophäe und im Zweifel genötigt, ihre Enttäuschung zu verbergen, weil den Pokal nur einer kriegen kann, hätte er keine Lust. Im letzten Band wurde ihm daraufhin abgesagt, was er ohne Murren zur Kenntnis nahm, im jetzigen wurde der Preis verliehen. Die Details kann man sich selbst anhören. Wie jemand die eigene Verletzlichkeit, von mir aus auch Eitelkeit, mit Rückgrat und Anstand kombiniert, auch daran erkennt man die Größe eines Menschen. Dazu am Werk selbst, wie beim Deutschen Buchpreis 2024, um den es aber – abgesehen von diesem Wink mit dem Zaunpfahl – heute nicht gehen soll.

Auch darüber hinaus sind die dritten Tagebücher auf fast tragische Weise aktuell: Krug war bei „Wetten, dass“, wo er seine große, bunte Krawatte vor Maske und Garderobe verteidigen muss und mit Hella von Sinne schäkert. Außerdem prophezeit er, dass die heutige Partei „Die Linke“ irgendwann an ihrer „Doofheit“ eingehen wird; uneindeutige US-Wahlen, die er unbegreiflich findet. Insgesamt hat sich sein Leben beruhigt: Schlaganfall, dritte Tochter, Abschied vom Tatort – das Alles mündet ein in mehr Musik und Gelassenheit.

Angeregt durch Krugs Audiobooks las ich außerdem sein Buch „Abgehauen. Ein Mitschnitt und ein Tagebuch“. Darin verschriftet er zuerst ein Treffen von zwölf Künstler:innen mit DDR-Kulturfunktionären in seinem Haus, das er heimlich aufgenommen hatte. Es ging um die Folgen des Wiedereinreiseverbots von Wolf Biermann. Im zweiten Teil veröffentlicht Krug seine Notizen aus den Wochen vor seiner eigenen Ausreise und die Stasi-Akte seines letzten Abends in der DDR.

Dazu passend wollte ich mir eigentlich den Film „Die Unbeugsamen 2: Guten Morgen ihr Schönen!“ ansehen. Das hat Corona leider verhindert. Ich bestellte mir statt dessen zwei DVDs: Einmal diese, sie soll (so Gott will) am 30. Juni 2025 geliefert werden. Außerdem hatte ich „Bettina“, über Leben und Werk von Bettina Wegner, schon länger auf der Liste.

Sie singt ganz großartig, sehr links, sehr politisch. Krug ist mehr in Schlager und Jazz unterwegs, was mir ebenfalls gefällt. Ich muss mir noch mehr von beiden anhören. Die Überschrift dieses Posts stammt aus einem Lied von Eva-Maria Hagen (geschrieben von Biermann), die am 19. Oktober 90 Jahre alt geworden wäre.

Die widerwärtigen Methoden der DDR-Funktionäre, über die sie alle berichten, sind typisches Bossing, auf Staatsebene hochgeschraubt: Erst versucht man es mit verdrallten Sprachregelungen, dann mit Einzelgesprächen, danach mit Spielchen und Methoden, von denen man gleichzeitig behauptet, sie fänden nur in der Phantasie der Betroffenen statt. Schließlich folgen Sanktionen, „Bettina“ gibt Aufnahmen des Prozesses wieder, der ihr gemacht wurde. Derweil bemühen sich die Künstler:innen, so gut es geht, etwas aus ihren Begabungen und ihrem Leben und auch der DDR zu machen, die Kinder zu erziehen, sich um die Familie zu kümmern, was man eben so tut. Aber egal, wie sie politisch ticken, stoßen sie alle irgendwann mit den Grenzen eines Systems zusammen, dem Freiheit nur eine Farce ist.

Ich versuche, das in meinem unvollkommenem Weltbild unterzubringen, so gut ich kann. Die Grautöne und die Vielfalt, mit der die Leute, hier eben Künstler:innen, dabei waren, mit der Situation umzugehen, war mir in der Fülle nicht klar, während ich mich gleichzeitig frage, was ich denn erwartet habe. Was für mich aus der Distanz alles gleich aussah, war es für die Betroffenen noch lange nicht.


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