Netz und doppelter Boden

Ich dachte, ich würde Mitte November, an einem Freitag, gemächlich in das Ende meines Arbeitsjahres hinübergleiten: Mittags zur Friseurin, danach einkaufen, kochen. Später noch einmal Inbox checken, Anrufbeantworter auf Ansage schalten und in den Social Media die Schotten dichtmachen.

Blick im Dunkeln auf die Dachterrasse: Sie ein bisschen wie eine kleine Landebahn mit Stühlen aus und ist umrandet mit einem verglasten Geländer. Das ist illuminiert, dazu sieht man die Lichter der Siedlungen dahinter und der Spiegelungen in den Glasscheiben. Über all dem wölbt sich der große, schwarze Himmel mit einem Rest Abenddämmerung am Horizont.

Denn wenn ich krank geschrieben bin, wird außer hier im Blog in meinen privaten Accounts nicht von außen mitgelesen. Schließlich einen Aperol Spritz auf den vollbrachten Tag und alles, was kommt.

Im Grunde geschah es auch so. Allerdings gab es am Donnerstag noch eine kräftige Erschütterung. Durch die Katastrophen im letzten Jahr und die beiden Operationen in diesem vergaß ich die Steuererklärung für 2022. Die mahnenden Mails, die mir das Steuerbüro im Juni schrieb, sind nicht angekommen. Mittlerweile weiß ich, das waren nicht die Einzigen, sie landeten auch nicht im Spam und ich versuche es jetzt mit Whitelists. Im Sommer aber hatte man angenommen, ich hätte mir eine neue Steuerberaterin gesucht. Dass dem nicht so war, fiel erst auf, als ich diese Woche die Unterlagen für 2023 einreichte. Also musste ich von jetzt auf gleich die Bescheinigungen für 2022 auch noch zusammenstellen und teilweise neu anfordern. Das hat mich den ganzen Donnerstag Vormittag und bis in den Anfang der neuen Woche beschäftigt. Nachdem ich am Montag die letzten Belege aus dem Briefkasten gefischt hatte, konnte ich auch diese Sammlung endlich abgeben. Meine Güte.

Das Wochenende verbrachte ich, wie ich meine Wochenenden eben so verbringe, mit ausruhen, lesen, bloggen und dieses Mal mit dem Besuch des Abendgottesdienstes am Sonntag. Seit Wochen schon verziehe ich mich am liebsten in meine Höhle und bin froh, dass ich mittlerweile alt genug bin, das im Angesicht der anstehenden Ereignisse völlig normal zu finden, zumindest für mich. Dass es um diese Jahreszeit früh dunkel wird, passte dazu; ich mochte es schon immer.

Bei beginnender Abenddämmerung Blick über den französischen Balkon des Krankenzimmers auf die herbstlichen Wälder, die Infrastruktur dazwischen sieht man erst im Dunkeln. Rechts im Bild die zeigende Hand der Bettnachbarin mit roten Fingernägeln. Unbeabsichtigt tippt der Zeigefinger fast die Kuppel der Alten Kapelle an.

Von Montag bis Mittwoch hatte ich trotzdem noch einiges zu tun. Koffer packen, letzte Absprachen treffen und noch einmal einkaufen. Am Dienstag fuhr ich zu den Vorbesprechungen in die Klinik. Außerdem musste ich die Hütte putzen, Wäsche waschen und ein Taxi bestellen: Donnerstag, 6:15 Uhr. Dann ging es los.

Zumindest glaubte ich das. Ich wurde auch vorbereitet, hatte das Hemdchen schon an und die LMAA-Pille schon drin. Da kam der Professor, um mir mitzuteilen, dass fast alle Anästhesisten erkrankt seien. Bereitschaftsteams sind heutzutage leider ebenso wenig eingerichtet wie OP-Säle für Notfälle, das gibt die ausgedünnte Personalsituation nicht mehr her. Ich hatte die Wahl zwischen mehreren Stunden Warten oder Verschieben. Ich wollte bleiben, um es hinter mich zu bringen. Doch nach einer Dreiviertelstunde ging auch das nicht mehr, ein Notfall kam dazwischen. Ich erhielt einen Taxenschein, eine AU und einen neuen Termin, dann fuhr ich zurück nach Hause. Der Professor ist in seinem Fachgebiet international bekannt, dazu menschlich sehr zugewandt. Was er über die Gesundheitspolitik und ihre Entwicklung sagt, ist nicht mehr zitierfähig. Seine Reaktion, als ich ihm außerdem von dem Aufklärungsgespräch mit der Anästhesistin berichtete, das so rücksichtlos war, dass es mich zum Weinen brachte, war es zu meiner Beruhigung ebenfalls nicht.

Wieder zu Hause traf ich die Katzendame an, die ich telefonisch schon informiert hatte. Dann frühstückte ich erstmal, plante alles um und schlief dank der Tablette vier Stunden lang. Sonntag kam Frau K., um das Auto zu holen. Ich machte mir soweit möglich ein schönes Wochenende und putzte Montag erneut die Hütte. Am Dienstag ging es dann wieder mit dem Taxi um 6:15 Uhr los. Der Professor hatte mir zugesichert, dass ich diesesmal Prioriät hätte, damit ich nicht ein weiteres Mal verschoben würde, was die Katzenlady mit einem lakonischen „abwarten“ quittierte.

Tatsächlich klappte es aber, mit einem großartigen Anästhesieteam, einem jungen Arzt und einem alten Pfleger, die ganz entspannt alles hervorholten und zurechtlegten und mich nebenbei abschossen, während ich glaubte, es würden noch irgendwelche sterilen Schläuche ausgepackt. Das war für mich optimal.

Die Operation ist gut verlaufen. Ich bekam ein Netz eingebaut, den Beckenboden gerichtet und weil der Prof. einmal Blickkontakt hatte, gleich noch zwei Zysten und den wohl schon länger lädierten Blinddarm entfernt. Die Zimmernachbarin war nett, die Station kannte ich schon und die drei Tage strikte Bettruhe ohne Hinsetzen oder Aufstehen (der OP-Tag zählte nicht mit) waren auch nicht so schlimm wie erwartet. Nur dass sich die Dinge in der betroffenen Region erst wieder einspielen müssen, ist etwas mühsam.

Frau K. hatte mich am 1. Advent im Krankenhaus abgeholt, am Samstag kommt sie wieder. Nächste Woche geht es zum Kontrolltermin bei der Ärztin; zur Arbeit muss ich erst im neuen Jahr wieder. Aus dem Fenster des Krankenzimmers konnte ich die grünspanige Kuppel der Alten Kapelle auf dem Sennefriedhof sehen und was mir die Bettnachbarin sonst noch zeigte. Als ich wieder aufstehen durfte, empfahl sie mir außerdem einen Blick von der Dachterrasse, wenn es dunkel ist. Daran hatte ich beim letzten Mal gar nicht gedacht.


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