Pfingsten

Treppenhaus mit bunten Glasbällen als Lichter.

Heute ist Pfingsten, das letzte der drei großen Feste: Weihnachten, wo Maria, von Gott geschaffen, Jesus gebar; Ostern, das Fest Jesu und seiner Auferstehung und heute eben Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes.

Im Predigttext in Johannes 14,15-19 steht dazu folgendes:

Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. 

Pfingsten gilt auch als Gründungsfest der Kirche. Dann gucken wir mal, wo die Kirche in diesem Text sein könnte. Kirche, das meint die Perspektive, die wir heute einnehmen. Denn ein richtiges Gründungsfest wie Richtfest oder Kirchweih war das damals nicht. Damals war, dass der Heilige Geist über die Jüngerinnen und Jünger kam und nur Gott allein wusste, was sie daraus machen würden. In unserem Text steht die Kirche darum in der Lücke:

Da ist einmal die Welt, die den Heiligen Geist nicht sieht und nicht kennt. Weder als Geist der Wahrheit noch als Geist des Trostes. Und weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt, kann sie ihn auch nicht empfangen.
Anders die Jüngerinnen und Jünger. Die haben den Geist: „Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“

Auch was Jesus betrifft, gibt es eine Zweiteilung: Noch kann ihn die Welt sehen. Aber es ist nur noch eine kleine Zeit, dann sieht ihn die Welt nicht mehr.
Anders wieder die Jüngerinnen und Jünger: „Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben“, heißt es da.

Die Kirche scheint mir genau in dieser Lücke, diesem Gap zu sein:
Zwischen Welt und Jüngerschaft, 
zwischen sehen und nicht sehen,
zwischen Lebendigkeit und… 
Ja, was eigentlich?

Trägheit, Desinteresse, Tod? Denn wenn wir auf die Kirche schauen, geht es nicht ums ewige Leben und das Himmelreich. Kirche findet auf der Erde statt. Wenn sie stirbt, entsteht nichts Neues, denn Gottes ewiges Reich ist ja schon da. Sondern die Kirche stirbt den klassischen Liebestod. „Sie ist weg und ich bin wieder allein, allein“, singen Fanta Vier. Da bleibt nichts übrig.

Jetzt wäre es natürlich am einfachsten, alles glasklar in gut und böse aufzuteilen. Hier die Welt, die von Gott nichts weiß und dort wir, die liebe Jüngerschar, voller guter Absichten, Herz an Herz vereint zusammen in ihrer schönen Kirche.

Das aber glaubt uns kein Mensch, wir selber auch nicht. Ich brauche gar nicht zu sagen, dass es Unsinn ist. Sage es aber sicherheitshalber doch: Es ist Unsinn.

Vielmehr ist das Ganze eine Mischung. Denn so heilig und geisterfüllt, wie wir es gerne hätten, sind wir gar nicht. Oft sind wir genau so unwissend, unerfüllt und gottesblind wie die Welt. Denn wir sind ja auch ein Teil der Welt. Da hilft die ganze Weltabgewandtheit, wie die geistlichen Extrawürste früher hießen, nichts. Und die heutigen Extrawürste mit den cooleren Namen helfen da auch nichts. 

Hohes Treppenhaus durch die Mitte nach unten fotografiert, sodass man die Windungen von Etage zu Etage sieht.

Wenn Kirche darum sein soll und wir sie gemäß unserem Bibeltext in der Lücke vermuten, befindet sie sich genau dort: In dem Wechselspiel aus sehen und nicht sehen, glauben und nicht glauben. Zwei Schritte vor, einen zurück. 

Dann ist es eine kleine Weile, wo man Jesus sieht und dann nicht mehr. Statt dessen geht es wieder von vorne los. Denken wir an Emmaus: Eine ziemlich lange Strecke sind die beiden Jünger gegangen, ohne Jesus zu sehen. Selbst als er da war, sahen (erkannten) sie ihn nicht. Erst beim gemeinsamen Essen, genauer, beim Tischgebet erkannten sie ihn. Und zack, war er weg. Und es ging wieder von vorne los.

Natürlich kommt man so trotzdem weiter. Wir haben es immerhin zu einer Weltreligion geschafft. Aber eben immer wieder in diesem Kreislauf und nur in der Lücke, im Etagenwechsel, klappt es wirklich. Alles Andere ist Wegstrecke. Mal voller Hoffnung und Sehnsucht, mal voller Idiotie und Großmäuligkeit.

Dieser Kreislauf, dieser Etagenwechsel ist uns im Glauben auch an anderen Stellen bekannt: Wer das wiederkehrende Gebet und geistliche Übungen kennt und pflegt, weiß, dass man immer wieder an die gleich Stelle kommt, nur auf einer anderen Ebene.

In der Seelsorge verhält es sich ebenso. Es war die Gestaltseelsorge oder Gestalttherapie, die das besonders herausgestellt hat. Aber auch ohne psychologischen Überbau weiß der gesunde Menschenverstand: Egal, wie ich mich weiter entwickele, ich komme immer wieder bei mir selber an. Mag die Stelle im Leben auch eine andere sein, ich bin eben ich.

Und Gott ist eben Gott. Das ist die andere Seite der Medaille.
Kreuz und Auferstehung. Auch das ist derselbe Rhythmus.

Aber kommen wir von der Ebene der Mystik, denn da waren wir gerade, wieder auf die Erde zurück und fassen wir zusammen:

Trost und Wahrheit, Erkenntnis und Einsicht zu haben oder auch nicht, diese Zweiteilung ist typisch für das Johannesevangelium. Doch es ist ein Irrtum zu glauben, wir würden automatisch auf der richtigen Seite stehen und die, die wir für die Welt halten, wären immer die Dummen. Vielmehr ist es ein Suchen des wandernden Gottesvolkes, bis nach Emmaus und noch viel weiter. Darin gibt es diese kleinen Momente des Findens, bis es wieder von vorne losgeht.

Ich würde sagen, Kirche ist dieser Prozess, dieses Pendel, diese Wendeltreppe, die entsteht, wenn wir die Lücke, die Spannung zwischen Glaube und Welt wahrnehmen. Gerade dann brauchen wir den Heiligen Geist, seinen Trost und seine Wahrheit besonders. Damit er uns daraus in die richtige Richtung führt.

Vielleicht ist die Gemeinschaft deswegen so wichtig. Weil sie hilft, diese Spannung auszuhalten, dieses „Haben, als hätten wir nicht“. Die Katholiken setzten darum das Fronleichnamsfest auf den zehnten Tag nach Pfingsten. Das Abendmahl, die Einsetzungsworte, Jesus in Brot und Wein, die Gemeinschaft beim Mahl als Richtschnur und Gedächtnisstütze. 

Eines ist vielleicht außerdem noch aufgefallen: Ich habe viel von der Kirche gesprochen, aber von der Institution kein einziges Mal. Mir ist es heute um den „Inhalt“ der Kirche gegangen. Die Form war nicht das Thema, wenn man davon absieht, dass sie zum Inhalt passen sollte: Form follows function. Die Form folgt aus der Funktion. Es sollte nicht umgekehrt sein. 

Und schon geht es wieder von vorne los.

Amen.

Gepredigt in der Petrikirche.


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