
Predigt zu Mk 3,31-35
Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Liebe Geschwister,
man hätte es sich ja schon bei der Hochzeit zu Kana denken können. Als der Wein leer war und Maria ihren Sohn Jesus fragte, ob er nicht mit einem Wunder aushelfen und Wasser in Wein verwandeln könnte. Worauf er ziemlich barsch antwortete: „Was habe ich mir dir zu schaffen, Weib?“ oder in moderneren Übersetzungen „Frau“.
In dem Ton hätte er mit mir als Mutter nicht reden dürfen, egal in welchem Alter. Aber wie dem auch sei, Jesus ist auf das klassische Familienbild nicht gut zu sprechen. Auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-12) hört man es schon durch, hier in dem Text aus dem Markusevangelium ist es offenkundig.
Familie ist für Jesus mehr als die Kombination aus Vater, Mutter, Kindern und vielleicht noch Großeltern. Vielmehr ist Familie die Wahlverwandschaft derer, die Gottes Willen tun. Das ist für ihn Familie.
Für viele, mich eingeschlossen, gehört dieser Text daher zu den großen Heilungstexten des Neuen Testaments, weil er denen eine Heimat gibt, die sich aus unterschiedlichen Gründen aus ihrer Familie oder ihrem Umfeld ausgeschlossen fühlen:
Kinder, die als Jugendliche oder Erwachsene von ihren Eltern nicht akzeptiert werden, wie sie sind, bis sie schließlich den Kontakt abbrechen, um ihre Haut zu retten.
Frauen und Männer, die aus einer toxischen Partnerschaft fliehen.
Schwule und Lesben, die jahrelang kämpfen mussten und noch müssen, bis ihre Liebe anerkannt wurde, einschließlich der Ehe in Standesamt und Kirche.
Eine Freundin von mir ist Presbyterin (Kirchenälteste) und angehende Prädikantin in einer Stadtkirche in Baden. Selbst ist sie trans und lebte bis vor ein paar Jahren noch in der Rolle eines Mannes. Weil die Gemeinde, in der sie Presbyterin ist, eben in der Innenstadt liegt, stellen sie in der Offenen Kirche zum Christopher Street Day immer einen großen „Bilderrahmen“ vor dem Altar auf, mit einem Schild daneben: „Das ist Gottes geliebtes Kind!“ Wenn man dann näher tritt, um dieses geliebte Kind zu besehen, blickt man in einen großen Spiegel und sieht sich selbst.
Der Spiegel ist auch darum so groß, damit man seinen ganzen Körper sieht: Mit allen Schrunden, den zu vielen oder zu wenigen Kilos, den Falten, Zappeligkeiten und Behinderungen. Auch deswegen sind manche ihrem Umfeld ja nicht gut genug. Früher reichten schon rote Haare oder dass man Linkshänder war, um ein Außenseiter zu sein. Die wurden zwar nicht gleich verstoßen, aber die Älteren wissen noch, wie ihnen die Hand auf den Rücken gebunden wurde, damit sie mit rechts schreiben lernten.
Doch hier in diesem Spiegel sehen sie Gottes geliebtes Kind.
Johanna, die Freundin von mir, sagt, sie setzen immer jemanden aus der Gemeinde daneben, der die Tränen einsammelt, die vor diesem Spiegel geweint werden. Jemanden, der oder die mit den Leuten spricht und Seelsorge anbietet.
Es sind nicht nur Schwule, Lesben und trans Menschen, sondern oft auch die Anderen, die man früher als „normal“ bezeichnet hätte und die sich häufig so normal gar nicht fühlen, warum auch immer. Für all diese Menschen kann der Predigttext heute ein Heilungstext sein, weil er ihnen zeigt, dass auch sie Teil einer Gemeinschaft sind, in der sie richtig sind, so wie sie sind.
Die Zugangsvoraussetzung ist nicht hoch: Diejenigen, die Gottes Willen tun, gehören dazu. Gottes Wille, was war das nochmal: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lk 10,27). Das ist der Maßstab.
Wie der Predigttext ist er ein Plädoyer für die logische Familie, wenn es mit der biologischen nicht klappt oder mit jedem Umfeld, das einem nicht guttut. Das verlorene Schaf, das Jesus rettet, ist oft genug das, das aus der Herde weggelaufen ist, weil es da nicht mehr auszuhalten war (Mt 18,12-13). Bei dem das Problem nicht es selbst, sondern die anderen Schafe waren.
Was meiner Meinung nach nicht heißt, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern oder eine glückliche Ehe zwischen Mann und Frau und ein klassisches Umfeld, vielleicht mit Kegelclub und Wanderverein, für Jesus nicht in Ordnung wären. Obwohl seine Worte streng sind und er selbst nie geheiratet hat.
Das Wasser auf der Hochzeit zu Kana hat er schließlich doch zu Wein gewandelt und seine Mutter hat ihn immer begleitet. Sie war es, die mit weiteren Frauen unter dem Kreuz geblieben ist, während die Jünger weggelaufen sind.
Wenn es passt, geht also beides: Logische und biologische Familie und bei den Meisten ist es ja auch so, dass man aus beidem Leute um sich hat. Denn der Kernsatz bleibt in jede Richtung gleich: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lk 10,27).
Ein letztes ist mir noch wichtig, nämlich der Blick weg vom einzelnen auf die Kirche: Zur Familie Gottes gehören alle, die Gottes Willen tun. Das war’s. Es werden keine Vater unser abgefragt, kein Psalm 23; es wird nicht einmal getauft in diesem Text. Es geht einzig um Gottes Willen, zu dem man gehören will und nicht um Formalitäten. Ein Familienoberhaupt, das das Sagen hat, gibt es übrigens auch nicht. Dieser Platz gehört alleine Gott.
Natürlich haben Psalmen und Gebete ihren Wert und ihre Schönheit. Nicht, dass es heißt, ich hätte gesagt, das Vater unser wäre nicht wichtig. Aber wenn es hart auf hart kommt, kommt es eben nicht darauf an, wieviele Gesangbuchlieder einer auswendig kann. Sondern darauf, dass er folgendes weiß: Ich bin Gottes geliebtes Kind und deswegen gehöre ich dazu. So wie ich bin. Amen.
Am 13. Sonntag nach Trinitatis 2025 gehalten in der Petrikirche.
Entdecke mehr von Pressepfarrerin
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.