Letzte Tage

Blick durch den wirklich kleinen Teeladen Richtung Schaufenster. Draußen sieht man eine Bretterwand und eine Leiter, irgendwas mit Weihnachtsmarkt. Drinnen auf der Fensterbank und links auf einem Regal Teeschalen, -kannen, gerätschaften. Oft Einzelstücke und eher im Töpferstil, also keine Porzellantassen. Davor ein Tisch mit zwei Stühlen und ebenfalls mit Teeschalen auf der Tischdecke. An der Wand ein weiteres Regal mit großen, grün-silbernen, rechteckigen Teedosen, darin der lose Tee zum Verkauf.

Als ich letzte Woche in der Stadt war, ging ich auch in den Teeladen am Klosterplatz. Da wollte ich schon seit Jahren hin, endlich gelang es. Den Vanille-Tee, den ich eigentlich kaufen wollte, gab es dort nicht. Dafür jede Menge andere weiße, grüne und schwarze Tees. Die wenigen, die aromatisiert waren, hatte die Inhaberin selbst angemischt und zwar ohne künstliche Zusatzstoffe. Statt des einen, der folglich nicht da war, nahm ich vier andere Sorten mit: Einen Assam mit zarter Malznote, einen Schwarztee aus Ruanda, der frisch aufgebrüht nach Erdbeeren schmeckt, einen Orangentee, dessen natürliches Öl ihm eine deutliche Öko-Note gibt und schließlich einen Weihnachtstee, dem einzig zerkleinerte Tonkabohnen untergemischt waren. Ich werde dort noch oft hinfahren und mich durch weitere Sorten trinken.

Im Verein bin ich die Einzige, die sich dem intuitiven Bogenschießen verschrieben hat, mit physiologischem Stehen und gelassenem Zielen ohne zugekniffenes Auge über „Kimme und Korn“. Die Anderen schießen olympisch Recurve oder Blankbogen mit eben jener Technik: Die Knie nach hinten durchgedrückt und der Körper gespannt, als wäre er selbst die Bogensehne, Anker unten am Kinn und olympisch mit allerhand Gerätschaften am Bogen, die ihn wie eine Drohne aussehen lassen und an denen ständig herumgeschraubt und -justiert werden muss. Außerdem machten bisher zwei Männer mit Compound-Bögen mit. Ich war mit meinem schlichten Bogen und der intuitiven Technik immer zufrieden (Winnetou, Meditation, diesdas) und jetzt, wo ich den Vergleich habe, umso mehr. Alle, wie sie mögen, ich eben auch.

Diese Woche standen die letzten Termine an: Montag die Predigten für Heiligabend und Silvester, Dienstag wurde ich versetzt, Mittwoch noch einmal Vorlesung und der Nachholtermin vom Vortag, Donnerstag Telefonat mit dem Hausarzt, Freitag Morgen Lieferung der Einkäufe und am Mittag zur Friseurin. Abends nahm ich am Gedenken und der Mahnwache an der Synagoge teil.
Von Montag bis zum Jahresende habe ich mich freiwillig zum Dienst gemeldet, um die Gottesdienste an Heiligabend und Silvester selbst zu übernehmen. Die verlorenen freien Tage hänge ich im Februar hinten dran. Jetzt freue ich mich erstmal auf die Semesterpause, in der ich das angehäufte Wissen sacken lassen kann. Gleich fängt im Ersten der kleine Lord an. Hoffentlich kehrt ab dann Ruhe ein.

Vor drei Wochen fand die Landessynode statt, auf der die neue theologische Vizepräses gewählt wurde. Ich kenne sie bisher nicht und ihren Gegenkandidaten kannte ich auch nicht. Das ist das Beruhigende daran. Meine Sorge, mich gegen den Wahlvorschlag bestimmter Personen aufbäumen zu müssen, hat sich nicht bestätigt. Mein Misstrauen gegen kirchliche Leitungsstrukturen samt Personal ist gleichwohl geblieben.

Schon im September starb der frühere Oberkirchenrat Dr. Peter Friedrich, allgemein Fritz genannt. Er war damals für die Theologiestudierenden zuständig und widmete sich ihrer Ausbildung mit viel Herzblut. Bis der Punkt kam, an dem die Kirchenleitung die Hälfte der Erstexaminierten nicht mehr übernommen hat. Dem zu wehren, war Fritz nicht gegeben, er war kein Fighter. Obwohl Oberkirchenrat, haben sie ihn bei Hofe gleich mit über den Tisch gezogen. Nach allem, was man danach noch hörte, hat er das nie verwunden. Sogar in seinem Nachruf gingen sie darauf ein.
Dr. Friedrich war Sohn eines Michaelsbruders. Ich verdanke ihm eine unvergessliche Prüfung im Zweiten Examen im Fach Gottesdienst, bei der ich im allgemeinen Teil den Ablauf der Osternacht spontan auswendig herunterbetete. Denn Fritz wusste um meine Liebe zur Liturgie, wie er mir hinterher mit seiner leicht näselnden Stimme sagte: „Deswegen habe ich Sie auch hart angepackt!“ Bemerkenswert war, dass er mir um seinen Tod eines Tages regelrecht vor Augen stand, ohne dass ich von seinem nahen Ende wusste. Es würde mich nicht wundern, wenn Fritz auf dem letzten Weg noch einmal bei all „seinen“ Studierenden vorbeigesehen hätte. Danke für Ihren Dienst, Herr Doktor Friedrich. Sie waren einer von den Guten.

Bondi Beach, Sidney. Dort war schon Chanukka.

Aus Tiefen rufe ich dich, Ewiger,
mächtig über uns, hör auf meine Stimme!
Ich hoffe, Ewiger, alles in mir hofft,
nach seinem Wort strecke ich mich aus.
Ich sehne mich nach dir, mächtig über uns,
mehr noch als Wachende nach dem Morgen.

Ps 130,1.5-6


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