Wie ich seit vier Jahren ohne Handy bin

Seit vier Jahren bin ich jetzt ohne Handy, hier hatte ich die Entscheidung damals aufgeschrieben. Die Tatortsache können Sie vergessen, den gucke ich wieder, aber das Handy ist immer noch weg.

Ich bin ein Handyjunkie gewesen. Nur das neuste Modell war gut genug, ich hatte einen angesagten Klingelton und als gute Pfarrerin – Öffentlichkeitsreferentin – Alleinerziehende – Freundin war ich immer, immer, immer erreichbar. Ja, zwischendurch versuchte ich ein paar Spielregeln einzubauen, z.B. dass es genügt, weniger Dringliches auf meinen Festnetz-AB zu sprechen, ich würde mich schon melden, aber genützt hat es nichts. Kein Einsehen, weder beruflich noch privat. Zum Schluss war ich bei 19 Anrufen in zwei Stunden.

Als ich aus der Öffentlichkeitsarbeit zurück in die Gemeinde ging, machte ich daher einen Schnitt, ich schaffte das Handy ab. Mein Umfeld war entsetzt! „Das kannst du doch nicht machen, wenn dir etwas passiert, das haben doch alle heutzutage, das kann doch wohl nicht wahr sein, was ist, wenn ich dich erreichen will?“

„Was ist, wenn ich dich erreichen will?“ wurde zur Kernfrage sämtlicher Handynutzung. Dass im Falle eines Falles genügend andere ein Handy dabeihaben, dass es Notrufsäulen und in großen Bahnhöfen immer noch Telefonzellen gibt, war schnell geklärt. Aber dass man mich nicht mehr nach Gutdünken anrufen konnte – nicht zu fassen.

Zwei Jahre dauerte es, bis sich alle daran gewöhnt hatten. Bis dahin war jedes Mittel recht: Die Mitleidstour („Was, wenn ich vor dem Gottesdienst spontan Durchfall kriege und du mich vertreten musst?“), die Rabenmuttervariante („Und deine Tochter???“) oder die beleidigte Dickfelligkeit („Als du sagtest, die alten Nummern wären ungültig, dachte ich nicht, dass du auch dein Handy meintest.“). Dabei bewege ich mich als Pfarrerin in einem medienkonservativen Umfeld. Da wird das Internet für die älteren Kollegen noch ausgedruckt und alte Leute rufen über Wählscheiben mit unterdrückter Rufnummer an.

Ich glaube, Handys dienen dort noch als Statussymbol. Nichts scheint die Wichtigkeit eines Kollegen mehr zu unterstreichen, als wenn er wegen seines klingelnden Handys die Pfarrkonferenz verlassen muss, auf dem Weg nach draußen erste Worte flüsternd. Für Leute, die solche Konferenzen nicht haben, bleiben immer noch die Tastentöne. Ich bringe dafür mittlerweile kein Verständnis mehr auf. Das ist es auch, was ich – zum fehlenden Handy befragt – meist anhand eines Trauergespräches erläutere:

Wenn ich in einem Trauergespräch bin, habe ich nicht zu telefonieren. Und danach möchte ich nicht telefonieren, sondern das Gespräch in mir nachschwingen lassen. Wenn ich zu Hause bin, Jacke aus, auf dem Klo war und ein wenig abgeschaltet habe, dann erledige ich meine Anrufe.
Merkwürdigerweise leuchtet das allen sofort ein.

Letztlich gibt es ohnehin nur zwei Sorten von wichtigen Anrufen:
1) Es handelt sich um ein Problem, das so dringend ist, dass es sofort gelöst werden muss. Dann kann das auch jede_r andere tun, der die Lösungskompetenz dafür besitzt.
2) Es handelt sich um ein Problem, das nur von mir gelöst werden kann. Dann kann man auch darauf warten, dass ich Zeit habe.

Klassisches Beispiel ist das Kind mit Bauchschmerzen in der Schule: Entweder die Schmerzen sind so stark, dass die Schule sofort den Krankenwagen ruft oder das Kind liegt mit Bauchweh ein bis zwei Stunden im Krankenzimmer, bis man mich erreicht hat und ich mich loseisen kann. Das wäre mit Handy auch nicht anders gewesen, ich hätte höchstens mehr Zeit gehabt, mir Sorgen zu machen, falls ich nicht sofort weggekonnt hätte.

Nun sind kranke Kinder und Bestatter mit Beerdigungsterminen der Säuretest jeder Erreichbarkeit. Bisher hat es keine Beschwerden gegeben, alle sind zufrieden. (Das Kind wohnt seit drei Jahren nicht mehr zu Hause, es klappt bei Bedarf trotzdem wie von uns beiden gewünscht.)
Mir wurde nur irgendwann langweilig. Kein Handy bedeutet kein Smartphone, letzteres hatte sich aber in den vergangenen vier Jahren endgültig etabliert. Also schaffte ich mir ein iPad mini an: Klein und alle Vorteile eines Smartphones, ohne dass man damit telefonieren kann, was so eigentlich auch nicht stimmt.

Die „Pro Handy“-Fraktion ist da komplett raus. Dass ich ohne Handy klar komme (und sie mit mir), haben sie verstanden; die Möglichkeiten, die ein iPad draußen oder zu Hause bietet, kennen sie hingegen nicht. Ich gelte nach wie vor als unterwegs nicht erreichbar, habe aber dieses Ding, das man als Navi nutzen kann.
Den Social-Media-Kontakten, die ich durch das iPad habe, ist die Telefonie wiederum egal. Sie brauchen sie meistens nicht und wenn doch, machen sie kein großes Gehampel drum. Andere Kommunikationsmodule sind wichtiger, weil passgenauer, das ist nicht nur eine Frage der Geschwindigkeit.
Eine Mittelstellung nehmen diejenigen ein, die ich die „WhatsApp“-Leute nenne. Sie versuchten erst, mich doch wieder zum Smartphone zu bekehren (keine Chance, auch nicht per Jailbreak auf dem iPad). Seit sie jedoch rausgefunden haben, dass man sich ja außerdem bei Facebook, Twitter, Instagram oder Quizduell treffen kann, hat das auch wieder aufgehört.

Ergebnis ist, die volle Punktzahl kriegt man nie. Es gibt immer irgendwen, der irgendwo nicht erreichbar ist, man denke an die Diskussionen um Facebook, Threema oder Snapchat. Wahr ist auch die alte Kommunikationsregel, wenn neue Medienformen dazukommen, verschwinden die bisherigen nicht, die Schwerpunkte verschieben sich nur.
In diesem Medienpulk ist das Telefon lange Zeit die Erreichbarkeitsmaschine gewesen. Das ändert sich jetzt, so wie der Fernseher nicht mehr die Informationsmaschine ist. Den habe ich übrigens auch nicht mehr. Aber das kriegen wir ein anderes Mal.