Der Sommer begann damit, dass mich die Jesus Freaks eingeladen hatten, einen Artikel über „Glauben bei Twitter“ in ihrem Magazin,
Der kranke Bote, zu schreiben. Das hat großen Spaß gemacht und ich freue mich, ihn jetzt auch hier zu veröffentlichen:
Glauben bei Twitter: Eine Spurensuche
Twitter ist die Morsetaste des Internets, jedenfalls wenn man nach den üblichen Beschreibungen geht: Mit höchstens 140 Zeichen pro Nachricht (so viele wie dieser Satz bisher) richtig schnell und deswegen Domäne der Zeitungen, Agenturen und Politiker.
Das ist der bekanntere Teil dieser Social-Media-Plattform, das hat das Nachrichtengewerbe so an sich. Doch ist auf Twitter weit mehr los als das neuste Wahlergebnis oder der nächste Politskandal. Viele Leute sind bei Twitter, einfach weil es ihnen Spaß macht und sie sich mit anderen austauschen oder vernetzen wollen. Darunter auch viele Christinnen und Christen.
Twitter ist ein Alltagsinstrument
„Twitter ist ein Alltagsinstrument, weil man viel aus seinem täglichen Leben berichtet“, sagt @Mrs_Eagle. Sie ist 25 Jahre alt, arbeitet im Buchhandel und ist als evangelische Christin im EC aktiv. @Mrs_Eagle ist ihr Twittername. Dieser fängt bei jedem mit @ an und ist oft ein Spitzname, ohne dass der bürgerliche Name genannt wird. Auch mit dem Glauben war @Mrs_Eagle anfänglich zurückhaltend: „Ich wollte den zuerst raushalten, damit ich nicht zu Tode diskutiert werde, aber früher oder später kommt man an den Punkt, wo man von seinem Glauben erzählt, weil man ja über seinen Alltag schreibt.“
Die positiven Rückmeldungen, die @Mrs_Eagle auf ihre Glaubenstweets erhielt, überraschten sie: „Das wurde sehr schnell sehr weit und hat mich bereichert, weil viel zurückkam. So entstand ein Netzwerk aus Christen, unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit und Konfession. Wie sie sich in diesem Netzwerk bewegt, ist recht unterschiedlich, erläutert Eagle: „Ich verfolge Gespräche oder schalte mich in sie ein, gebe ein Sternchen, wenn mir etwas gefällt und ich entscheide natürlich selbst, wem ich folge, also welche Inhalte ich lese.“ Weil Twitter keine Verbindlichkeit einfordere, könne um so mehr geschehen, das den eigenen Horizont erweitere: „Man kocht nicht ständig in der eigenen Suppe.“
Abendgebet als verbindlichere Struktur
Eine verbindlichere Struktur bietet das ökumenische Abendgebet #twomplet an. Dieser Begriff entstand aus einem Wortspiel, das sich aus den Begriffen „Twitter“ und „Komplet“, dem Nachtgebet der Kirche, zusammensetzt. Die Raute # am Wortbeginn, der „Hashtag“, signalisiert außerdem ein Stichwort, mit dem man die #twomplet leicht in der Suchfunktion von Twitter finden kann.
Gegründet wurde die #twomplet Anfang 2014 von dem katholischen Abiturienten Benedikt Heider (@_DerHeidi_). Sie findet jeden Abend um 21:00 Uhr statt und wird von wechselnden Vorbeter_innen angeleitet. Ute Janßen (@schibulska), 49 Jahre alt, evangelisch und Geschäftsführerin einer Stiftung, ist eine von ihnen.
„Das Generationsübergreifende finde ich spannend, ob in meiner Kirchengemeinde, bei Twitter oder der #twomplet“, erzählt Janßen. „Ich habe die #twomplet durch Zufall entdeckt. Ich war krank und fing an mitzubeten. Daraus haben sich Kontakte ergeben und ich konnte mir irgendwann vorstellen, selber die #twomplet zu gestalten.“
Dass es wirklich funktioniert, Menschen auf Twitter zum Gebet zusammenzubringen, konnte Janßen am Anfang kaum glauben: „Das sind ganz unterschiedliche Leute, fromme, katholische, evangelische, dadurch menschelt es hin und wieder und ist nicht immer ganz frei von Konflikten. Trotzdem gelingt es jeden Abend, eine lockere Gruppe für eine halbe Stunde zum Gebet zusammen zubekommen.“
Der Ablauf der #twomplet wird von den Vorbetern vorgegeben und gibt auch Raum für die Gebetsanliegen derjenigen, die mitbeten. Wer ein Anliegen formulieren möchte, kann dies für alle sichtbar twittern oder eine Direktnachricht an die Vorbeterin senden, die diese dann anonym veröffentlicht. Viele beten still mit und setzen nur hier und da ein Sternchen, um zu zeigen, dass sie anwesend sind.
Gemeinschaft oder Gemeinde?
Doch nicht jeder geht so weit, seine Gebetsanliegen auf Twitter auszudrücken. „Auf Facebook habe ich das schon öfter gemacht, auf Twitter hingegen nicht, wobei das nicht vom Medium abhängt, sondern von den Menschen, mit denen man zu tun hat.“ Diese Ansicht vertritt @Dadvelopment. Er ist 29 Jahre alt, Programmierer und Jesus Freak. „Ich folge auf Twitter nur wenigen Christen, warum sollte ich da Gebetsanliegen senden?“ Auch für ihn ist Twitter eine Alltagssache: „Ich bin durch meine Frau zu Twitter gekommen. Außerdem wollte ich ein paar Sachen, die mir im Kopf rumschwirren, rauskriegen und aufschreiben. Mit meinem Christsein hatte das erstmal nichts zu tun.“
Gleichwohl freut sich @Dadvelopment, wenn er Glaubensimpulse und Buchtipps durch andere Accounts bekommt oder wenn jemand berichtet, wie Gott in seinem Leben wirkt. Auch die Losungen liest er bei Twitter. „Es gibt ganz viele Varianten und jeder sieht das Medium Twitter so, wie er möchte“, stellt @Dadvelopment fest. Als Gemeinde würde er Twitter nicht bezeichnen. „Für mich ist Twitter eher der persönliche Glaube, ich erlebe es nicht als Gemeinde, sondern als Gemeinschaft, in der nicht so sehr der Glaube, sondern eher die Menschen im Vordergrund stehen, von denen einige eben auch Christen sind.“
Das sieht @schibulska mit ihren Erfahrungen anders: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“, zitiert sie Mt 18,20. „Twitter ist keine verfasste Gemeinde, wir sind freiwillig zusammen, teilen Gedanken und Zeit. Vereinzelt entstehen daraus auch Treffen im realen Leben.“ Twitter könne Menschen zusammenbringen, weil es so offen und niedrigschwellig sei. „Wenn ich nicht mehr will, kann ich jemanden jederzeit entfolgen, es gibt keinen Zwang, ich kann selbst entscheiden.“
https://twitter.com/Mrs_Eagle/status/602183522141495298
Auch @Mrs_Eagle denkt in eine ähnliche Richtung, sieht allerdings auch Grenzen: „Twitter ist kein Ersatz für die Gemeinde vor Ort, aber eine Bereicherung. Ich möchte meine Twittergemeinde nicht mehr missen.“ Sie hebt ebenfalls hervor, dass Twitter keine Verbindlichkeit einfordere. Das erlebt sie in der Gemeinde zu Hause anders.
Zwei Christinnen und ein Christ mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen, da ist Twitter wie jeder Hauskreis oder jede Ortsgemeinde. Aber in einem sind sich die Drei dennoch einig: Man kann niemandem vorschreiben, wie er Twitter zu nutzen hat. Denn das macht es schließlich aus.
Titelbild: Ute Janßen
Update: Twitter hat die Sterne Anfang November durch Herzen ersetzt.