
Ich war in Hannover auf dem Kirchentag. Formal auf Dienstreise, doch zugleich um meinen Urlaub einzuläuten. Darum checkte ich im Maritim Airport ein. Wenn die Preise anlassgegeben schon raufgesetzt waren, wollte ich wenigstens ein Hotel mit Pool (Fotos). Außerdem nahm ich den neuen Fotoapparat samt neuer 50 mm Festbrennweite mit, den ich mir zu Ostern geschenkt hatte. Ich machte mit mir selbst aus, dass ich mich langsam wieder an eine Kamera gewöhnen würde und blieb darum erstmal bei der automatischen Einstellung, auch um zu gucken, wie das Gerät überhaupt reagiert. Tatsächlich sind die ersten Versuche ziemlich ermutigend.
Ob das auch für Veranstaltungen und Begegnungen gelten würde, war im Vorhinein ebenfalls nicht klar. Abseits dienstlicher Verpflichtungen lebe ich schon sehr als grumpy old cat Lady. Würde das, was ich mir in meiner Höhle zusammenreime, auch im Gespräch mit anderen funktionieren? Und kann ich bei denen überhaupt noch Gehirne voraussetzen? Wobei ich damit niemanden konkret gemeint habe. Wenn man so viel Zeit im Internet verbringt wie ich, fragt man sich nur irgendwann ganz allgemein, wie es um das Denkvermögen der Leute bestellt ist. Doch es war alles in Ordnung, bei mir zum Glück auch.

Zuerst nahm ich mit einigen Leuten an einem Workshop für queere Liturgie teil. Ich habe weder Gelegenheit noch Veranlassung, solche Gottesdienste zu gestalten. Aber ich wollte wissen, ob das, was ich im Fall der Fälle für erforderlich hielte, nach den Entwicklungen der letzten Jahre noch up to date ist. Das traf zu. Die Mechanismen, die für eine solche Feier oder Predigt förderlich oder hinderlich wären, sind dieselben geblieben.
Außerdem ging ich in die Apostelkirche (Foto) zu einer Podiumsdiskussion aus queerfeministischer Perspektive, die den Backlash von trans Gegner:innen und rechtspopulistischen Strömungen in den Blick nahm: „Schuld ist nur der Feminismus. Rechte Narrative im digitalen Raum“ mit Quinton Caesar (Foto), Dr. Ruth Heß, Tim Lahr (amen_aber_sexy), Dr. Antje Schrupp (Foto) und Sonja Thomaier (Moderation). Vor der linksgrünen Tür wurde dort nicht gekehrt, vielmehr das eigene Verhalten als grundsätzlich richtig vorausgesetzt. Als Liberale im Internet erlebe ich das häufig anders. Aber das war zugegeben nicht das Thema. Interessant fand ich, dass Heß auf eine EKD-Studie verwies, nach der „Triggerpunkt bei gruppenbezogenen Ressentiments“ immer die Geschlechterfrage ist – nicht Geflüchtete, nicht Gewalt, nicht Klima.

Zusammen mit dem Eröffnungsgottesdienst plus Abend der Begegnung am Mittwoch und der Sext in St. Clemens am Samstag waren das die einzigen Veranstaltungen, zu denen ich ging. Das lag auch daran, dass ich aufgrund unzureichender Angaben in der Kirchentagsapp den falschen Weg auf das Messegelände erwischte: Zu lang, ohne Wegweiser und Toiletten, zudem ohne Ampel in der App, die die betreffende Veranstaltung als überfüllt auswies. So brauchte ich über zwei Stunden, bis ich endlich da war und kam dann in das gewünschte Panel nicht mehr rein. Weitere Versuche, mich auf dem Gelände zurechtzufinden, unternahm ich danach nicht mehr. Erschöpft und enttäuscht fuhr ich ins Hotel zurück. Dort passte ich meinen Programmplan der Erfahrung an. Zum Abschlussgottesdienst wollte ich ohnehin nicht, die Bibelarbeit und das Podium mit Bischöfin Mariann Edgar Budde würde ich mir im Internet ansehen. Das steht für die Bibelarbeit noch aus, aber das Podium empfehle ich sehr. Es ist auf Englisch, doch man kann gut folgen.

Mein Ziel, das eigene politische und feministische Denken zu überprüfen und mit anderen zu teilen, erreichte ich trotz meines spärlichen Programmplans oder vielleicht gerade deswegen. Workshop und Podien boten eine gute Grundlage. Hinzu kamen drei intensive Diskussionen, erst mit Johanna, dann mit Antje und schließlich beim Treffen der Theobubble. Dort sprachen wir in der Gruppe und ich zudem mit einem Mann, der sich aus Gründen ebenfalls mit dem wirtschaftlichen Mittelstand auskannte und bei konservativer Herkunft seinen Weg über die Liberalen zu den Grünen nahm, während ich von da erst zu den Grünen und dann zu den Liberalen ging. Auch darüber hinaus genoss ich die Begegnungen mit lieben Menschen aus dem Internet sehr.
Beruhigt hat mich, dass ich vom Stand der Dinge genügend mitbekomme, auch wenn ich mich an vielen Gesprächen nicht beteilige. Über die Art und Weise, wie Queerpolitik in der digitalen Szene kommuniziert wird, ärgerte ich mich so häufig, dass ich mich schon vor Jahren aus der Diskussion verabschiedet hatte. Jetzt fand ich einen neuen Zugang, der vor allem damit zusammenhängt, dass der aktuelle queerfeministische Disput „die Verhältnisse zum Tanzen“ bringt. Versucht, sie zu ändern, haben wir im Feminismus lange genug, den ganzen Genderkram komplett durcheinanderzuwirbeln und dann neu anzuschauen, ist endlich einmal etwas Neues. Zwar bin ich deswegen immer noch nicht mit allem einverstanden, habe aber wieder ein Packende, um mich vielleicht doch hier und da einzubringen. Schließlich empfahl mir Antje noch ein Buch von Elizabeth Duval, aus dem Spanischen übersetzt von Luisa Donnerberg: „Nach Trans. Sex, Gender und die Linke“, das sie hier rezensierte. Mittlerweile las ich es zu Dreivierteln durch, bin mit dem Denken aber noch nicht fertig.
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