Nummer 6

Fast ein Jahr ist seit meinem Klagegesang vergangen. Ich war mir damals nicht sicher, ob es gut ist, meine sozialmedialen Befindlichkeiten so ungeschminkt niederzuschreiben. Aber was soll ich sagen – mir hat’s geholfen! Endlich konnte ich mit Twitter abschließen, auch wenn ich weiterhin gelegentlich reinzappe. Mich hauptsächlich in meinem Blog aufzuhalten und damit einhergehend auf Bluesky nur noch wenig Politik und schon gar keine Diskussionsbeiträge mehr zu posten, war außerdem richtig. Dann verabschiedete ich mich im September von Instagram. Die Fotos teilte ich zwischen Pixelfed fürs Schöne und Foodporn hier im Blog auf; Inhaltliches holte ich über Mastodon wieder zurück. Openvibe führt meine dortige Timeline mit der von Bluesky zusammen. Wie X behalte ich Instagram für alle Fälle. Bisher geschah es drei Mal, dass ich es aus gegebenem Anlass zum Nachlesen oder für eine Direktnachricht nutzte.

Auch politisch habe ich Alternativen gefunden: Den Podcast Machtwechsel von Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander hörte ich ohnehin schon länger. Mir gefällt der faire Erklärbärmodus der Beiden. Im neuen Jahr machen sie sich mit diesem Angebot selbstständig. Seit heute läuft darum der Link auf Welt online ins Leere, ohne dass schon eine neue Website bekannt wäre. Dann ist noch Paul Ronzheimer hinzugekommen. Bei ihm mag ich vor allem, wenn er Leute zum Gespräch einlädt, die sich mit irgendetwas besonders gut auskennen oder für etwas Bekanntes stehen. So schmort man nicht im eigenen Saft. Das war mir an Twitter ja besonders wichtig. Dass wir dessen Pluralität nicht mehr zurückholen können, habe ich jetzt aber oft genug gesagt.

WhatsApp, dieser offenen Hose der Kommunikation (das wiederum sage ich jedesmal wieder), verweigere ich mich weiterhin beharrlich. Das war wegen der Kontakte im Haus und im Bogenverein zwischendurch etwas schwierig. Aber solange ich nicht zuerst entscheiden kann, wer mein Profil auf WA zu sehen kriegt und das Ding ungefragt mein Adressbuch durchstöbert, bleibt es dabei. Von mir aus könnten wir uns alle bei Bedarf wieder SMS schicken. Mit einer Nachbarin und den Vereinsinfos läuft das bereits so.

Dass sich auf Mastodon die Blogger-Szene tummelt, hatte ich nicht erwartet und erst in den letzten Monaten entdeckt. Hinzu kommt, dass der Blogdienst Rivva „in die Breite gegangen ist“, sodass dort sehr viel mehr Blogs mit kleineren Reichweiten zu finden sind. Auch das gefällt mir gut. Ich habe einige wenige Newsletter abonniert, die sind für mich im Wesentlichen dasselbe wie Blogs. Überhaupt hat sich meine Timeline auf Mastodon mittlerweile so weit ausgedünnt, dass es politisch meistens erträglich ist. Da hat sich also in den letzten Jahren einiges getan. Weiterhin lese ich nur wenige Blogs regelmäßig. Blogroll und Linkliste sind anlässlich dieses Posts frisch aktualisiert, aber noch lange nicht vollständig. Dafür entdecke ich gerade zu viel neues.

Was die digitale Kirche betrifft, muss ich zugeben, dass mir der Kampf um Deutungshoheiten und Zugehörigkeiten noch nie sonderlich eingeleuchtet hat. Die Machtspielchen, die vor allem unter den Jüngeren häufiger vorkommen als noch vor einigen Jahren, haben mich immer abgestoßen. Die entsprechenden Nester habe ich mittlerweile weggeblockt. Dabei wäre das Faszinierende an den Sozialen Medien doch gerade, dass man alle möglichen Leute aus allen möglichen Generationen, Konfessionen, Religionen, Anemonen, Stangenbohnen und Zitronen kennenlernt. Mittlerweile ist das nicht nur deswegen schwieriger, weil Elon Musk Twitter zerlegt hat. Auch die Algorithmen fördern eine Separation, in der jede:r nur noch mitgeteilt bekommt, was eine neunmalkluge Maschine für ihn vorgesehen hat. Wir müssen uns daher selbst darum kümmern, dass die Generationen im Social Web etwas voneinander mitkriegen und sich unterschiedliche Kenntnisse breit verteilen, statt sich nur in exklusiven Zirkeln zu versippen. Social Media bedeutet nach wie vor für mich, der Verblödung zu wehren, weit über die digitale Kirche hinaus.

2014-2019: #digitaleKirche probiert und existiert2020: #digitaleKirche explodiert und experimentiert uferlos2021-2023: #digitaleKirche konsolidiert und professionalisiert2024: #digitaleKirche pennt ein 2025: #digitaleKirche deprimiert, desorientiert und clickbaity

Philipp Greifenstein (@rocktoamna.bsky.social) 2025-12-16T10:04:06.046Z

Wobei dort ohnehin nicht mehr viel los zu sein scheint. Philipp gibt sich in seiner Zeitleiste zu recht kritisch. Auf Instagram war es schon lange salonfähig, sich einen Account nur zum Mitlesen und ohne eigene Beiträge einzurichten. In der analogen Kirche werden in der Kommunikation immer noch Leute eingestellt, die ohne rot zu werden erklären, „von Social Media keine Ahnung zu haben“. Wenn man bedenkt, dass Print selbst in seiner digitalen Form nur noch sehr eingeschränkt funktioniert, fragt man sich schon, was die dann den ganzen Tag machen.

Deutschland, ob fromm oder säkular, hat das Internet ausgesessen und ist ziemlich weit damit gekommen. KI ist jetzt das Nächste, bei dem man das probiert. Und oh Wunder, das halbe Internet macht dabei mit. Horst Schulte hat dazu etwas aufgeschrieben.
Wie gefährlich oder unsinnig KI sei, liest man sogar bei Usern, die damals jedes noch so kippelige Drei-Minuten-Video auf You Tube als großen Wurf gefeiert haben. Mit 55 Jahren bin ich mittlerweile so alt wie diejenigen, die mich vor 20 Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit angeschrien haben, weil sie sich in ihrem Alter mit dem Web nicht mehr befassen wollten. Auch heute entwickelt sich das Internet immer noch weiter. Irgendwann werde ich mir überlegen müssen, was davon ich noch mitmache und wo der Zug ohne mich weiterfährt. So viel kann ich aus der Erfahrung der letzten 30 Jahre allerdings jetzt schon sagen: Sich mit Mitte 50 aus der weiteren Entwicklung auszuklinken, ist definitiv zu früh; jeden Kasperkram der KI mitzumachen, allerdings auch.

Ich gehe da lieber pragmatisch ran: Bisher habe ich KI wissentlich selten bis gar nicht gebraucht. Fotos mag ich am liebsten, wenn sie wenig bearbeitet sind und man ihnen das Wenige möglichst ebenfalls nicht ansieht. Das war schon zu Adobes Zeiten so. Meine eigenen Bilder bestehen maximal aus dem, was Kamera oder iPhone hergeben und selbst das schöpfe ich meistens nicht aus. Abgesehen von der Wahl zwischen farbig und schwarzweiß nutze ich auch keine Filter. Jedoch habe ich das nie als Dogma, sondern immer als ästhetische und handwerkliche Vorliebe aufgefasst. Wie beim Bogenschießen bin ich eher Puristin, verschließe mich aber nicht vor sinnvollen Entwicklungen oder vor denjenigen, die es anders machen.

Wegen meiner Aktenordner werde ich mich im nächsten Jahr in ein Programm einarbeiten, das mir bei der Datenanalyse hilft. Um Fußnoten und Zitate kümmere ich mich trotzdem selbst. Citavi und Zotero, sammelt gern meine Literatur, aber geht mir ansonsten weg. Bestenfalls überlege ich, mir eine externe Rechtschreib- und Zeichensetzungsüberprüfung zuzulegen. Meine Orthographie ist eigentlich parkettsicher, aber ich neige im neurodivergenten Überschwang dazu, mich blindzulesen. Bei wirklich langen Texten kommt man so oder so nicht ohne Zweitkorrektur aus. Gleichzeitig kann ich es nicht haben, wenn jemand in meiner Vorlage herumfrickelt, während ich schreibe. Deswegen sind alle Korrektursysteme in meinen Textprogrammen ausgeschaltet. Sie wenigstens am Ende zu nutzen, würde möglicherweise bereits genügen. Das Schöne ist, dass ich Rechtschreibung, Zitation und das Erstellen von Literaturverzeichnissen noch gelernt habe. Ich kann mir daher in Ruhe aussuchen, ob ich ein Tool nutzen möchte oder mit den bisherigen Bordmitteln besser klarkomme.

Eine der Hauptsorgen der Internetskeptiker vor 20 bis 30 Jahren war, dass der Computer ihnen den eigenen Arbeitsrhythmus kaputtmacht, statt sie in ihren Aufgaben zu unterstützen. Als würde er sie am Schreibtisch verschlingen. Wie oft habe ich gehört, dass man sich den Aufbau seiner Predigt erstmal in Ruhe überlegen und sich dazu mit Bleistift Notizen machen möchte. Wenn dann begriffen wurde, dass das auch mit Computer geht, war der Knoten schließlich geplatzt. Vielleicht ist das mit KI ähnlich. Auf dem letzten BarCamp Kirche Online wurden die Perspektiven, die kirchliches Arbeiten mit KI eröffnet, positiv betrachtet. Auch wenn sie mehr kann als ein Rechner vor 25 Jahren, ist der innere Quantensprung trotzdem vergleichbar. Aber ob ich springe und wann und wo und wie, entscheide immer noch ich.

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