Was bisher geschah

Fast vier Monate wohne ich jetzt schon in der neuen Stadt und die erste Phase der Eingewöhnung liegt hinter mir. Anfangs fühlte ich mich völlig reizüberflutet. Das lag nicht nur daran, dass alles neu war, wie das eben so ist nach einem Umzug, sondern dass ich zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder in einer richtigen Großstadt lebe. Von der Einwohnerzahl her etwa so groß wie Bochum, von der Fläche sogar größer als Frankfurt a.M.

Obwohl ich Rasen an Rasen an einem kleinen Park mit einer Schwanenfamilie als Nachbarn wohne, mit ausreichend Bäumen vor der Tür und Landschaft direkt um die Ecke, waren es zu Anfang doch recht viele Leute, Leute, Autos, Häuser, Häuser, Häuser, Leute, Leute, noch mehr Leute, Autos, Autos und dauernd Hunde an der Leine.

Mittlerweile habe ich mich da herein gefunden, fahre in die Gemeinde lieber den Weg über Land, statt durch das Industriegebiet und weiß den italienischen und asiatischen Supermarkt sowie jedwedes andere Geschäft in relativer Nähe zu schätzen.

Auch hatte ich mich bewusst für ein gemischtes Wohnumfeld entschieden, für soziale Monokulturen bin ich nicht so zu haben. Hier im Haus wohnen außer mir ein Wissenschaftler mit Frau und Kind, ein Rentnerehepaar, zwei junge Arbeiterfamilien und zwei noch jüngere Schwestern aus Syrien, die sich aufs Studium vorbereiten. Und wie es so geht, kein Haus ohne Nervensäge, das gehört dazu. Die Wohnung selbst ist wunderbar: Frisch und vollständig renoviert, trocken und mit Rollläden und Schlössern an sämtlichen Fenstern. Ich habe lange nicht mehr so beruhigt geschlafen. Dass die Bilder und Lampen noch nicht hängen, ist mir egal, das kann noch ein bisschen warten. Ich brauche nur Familie K. Bescheid zu sagen, wenn es soweit sein soll.

Dienstlich mache ich zu dreiviertel Vertretung in einer größeren Kirchengemeinde im Nachbarstadtteil, in der zwei Kollegen länger ausgefallen sind. Corona sorgt für einen langsamen Einstieg, was mir entgegenkommt. Wir sind dort zu dritt in interessanter Konstellation: Ein Kollege, mit dem ich früher zur Schule ging, aber mit einem völlig anderen Hintergrund als ich. Dazu eine Kollegin aus dem Umfeld feministischer Liturgie, von der ich nicht erwartet hätte, sie hier zu treffen.

Mit einem weiteren Viertel meines Dienstumfangs bin ich im Referat für Kommunikation des Kirchenkreises angesiedelt, um zu gucken, wie wir uns im Bereich Social Media einbringen können. Auch dort arbeite ich mit in einem Team aus einem Pfarrer, den ich noch aus meiner Zeit als Öffentlichkeitsreferentin kannte, einem Foto-Journalisten sowie einer Sekretärin. Zurzeit stricke ich an der Konzeption, bin also noch ziemlich meta.

Fürs Aquajoggen habe ich jetzt eine Jahreskarte; die regulären Eintrittspreise sind hier mehr als doppelt so hoch wie an meinem vorherigen Wohnort. Das einzige wegen Corona geöffnete Hallenbad liegt quer durch die Stadt neben Ikea. Seit es im Juni oder Juli mit speziellen Uhrzeiten wieder öffnete, ging ich regelmäßig hin. Das war am Anfang super. Zunehmend kamen aber mehr Besucher, was mir einigermaßen unheimlich wurde. Zuerst konnte ich das ausgleichen, indem ich mich für die Schwimmzeit am Mittag entschied, weil da am wenigsten los war. Dann ist man vor etwa drei Wochen wieder zu den regulären Öffnungszeiten in allen Hallenbädern zurückgekehrt. Leider bin ich aus Gründen noch nicht dazu gekommen auszuprobieren, wie das jetzt ist. Vielleicht schreibe ich darüber, wenn ich mit den Gründen fertig bin.

Zum Bogenschießen machte ich einen 3D-Parcours in der Nachbarstadt aus. Privat betrieben, ohne Vereinsmeierei, in einem kleinen Wald hinter einem Stück Heide. Ich fahre eine halbe Stunde mit dem Auto dorthin. Schon die Strecke über Land ist so schön, dass ich zuversichtlich bin, dort Abstand gewinnen zu können, von was auch immer. Auch hier erwarb ich eine Jahreskarte und kann nach Bedarf zusätzlich Trainerstunden nehmen. Mein Start mit einem Einführungsrundgang ist noch nicht lange her. Eigentlich hatte ich ihn für Ende Juni geplant, doch da ging es in der Nachbarstadt buchstäblich um die Wurst. Das wollte ich natürlich abwarten, zumal wir in der Region angehalten waren, möglichst nicht hin- und herzufahren, um den Virus nicht zu verschleppen.

Mein Auto konnte ich dank Corona ebenfalls erst kürzlich ummelden. Die Ämter vergeben zurzeit im Vorfeld Termine und nach allem, was ich über die Medien mitgekriegt habe, hatte die Zulassungsstelle nicht nur einen Coronafall, sondern scheint insgesamt mit zu wenig Personal ausgestattet zu sein. Termine sollte man im Internet buchen, was mir nicht gelang, nie war etwas frei. „Am besten versuchen Sie es ab Mitternacht, wenn die neuen Termine eingestellt sind oder morgens vor sieben.“ Dass ich diese Uhrzeiten für eine Behörde ziemlich unpassend fand, konnte das Fräulein vom Amt die Dame am Telefon nicht recht begreifen. Erlösung verschaffte mir letztlich ein Geistesblitz, der mich nachts um vier beim Pinkeln ereilte und zu besagtem Termin vier Wochen später führte. Man macht was mit.