Was bisher geschah

Auf dem Wohnzimmertisch stehen Blumen, das habe ich mir kurz nach dem Einzug so angewöhnt. Damals besorgte ich drei Pfingstrosen, weil ich nach dem ganzen Umzugsstress etwas Buntes brauchte. Über Google fand ich zu einer Friedhofsgärtnerei in der Nähe mit einer kleinen, feinen Schnittblumenauswahl. Seit dem gehe ich etwa alle drei Wochen dorthin und suche mir ein, zwei Blumen mit etwas grünem Chichi drumrum für meine Tütenvase aus. Das ist so schön, dass ich nicht weiß, ob ich mir das wieder abgewöhnen kann.

Vor allem jetzt, wo es mit draußen auf dem Balkon sitzen für dieses Jahr wohl vorbei ist. Das ist ja auch so ein Ereignis: Mein erster Balkon. Ich bin ganz zufrieden! Wichtig ist mir nach wie vor, dass ich die Wahl habe. Ums Haus herum sind genügend Wiesen, Bäume und Möglichkeiten, sodass ich mich ganz nach draußen setzen könnte, wenn ich wollte. Trotzdem ist der Balkon super. Das liegt daran, dass ich so ein Schisshase bin. Ich mochte die Terrasse am Pfarrhouse gern, doch wenn es im Spätsommer um 21 Uhr dunkel war, saß ich drin. Auf dem Balkon mit seiner leichten Höhe und dem Geländer davor fühle ich mich sicherer und habe bis weit in den Herbst hinein noch spät abends im Dunkeln draußen gesessen.

Der Balkon geht Richtung Straße, die die #ZweiHerren sehr zu meinem Verdruss mittlerweile nach Lust und Laune überqueren. Interessant sind zudem die Sitten und Gebräuche in der Nachbarschaft. Wir wohnen zu insgesamt zwölf Parteien in zwei aneinandergereihten Siedlungshäusern. Durch die Balkone Richtung Straße sieht man sich entsprechend häufig. Darum ist es üblich, zu den Balkonen herüber nicht jedesmal zu grüßen, was mich anfänglich in völliges Erstaunen versetzte. Wobei das nicht an der Generation liegt (als ich Kind war, wurde noch bei meiner Oma angerufen, wenn ich nicht gegrüßt hatte). Manche sind genauso alt oder älter als ich, sie möchten Distanz oder Diskretion signalisieren. Ich kenne das so, dass man dann den Gruß verflüchtigt, bis nur noch ein leichtes Nicken oder ein angedeutetes Gemurmel übrig bleibt. Gemäß der hiesigen ungeschriebenen Balkonetikette ist offenbar selbst das zuviel. Sieht man sich hingegen auf der Hinterseite der Häuser, wo auch die Eingänge sind, wird gegrüßt, wie ich das kenne. Aber ich bin in der Balkonszene immer noch Anfängerin, möglicherweise ist das ganz allgemein so üblich.

Nächste Woche wäre ich eigentlich zu einer Tagung der DBK nach München gefahren. Es wäre um „Liturgie und Macht“ gegangen, im Rahmen des synodalen Weges. Doch vor wenigen Tagen wurde die Tagung als Präsenszveranstaltung abgesagt und ins Internet verlegt. Das ist bei den steigenden Coronazahlen so vernünftig wie begreiflich. Aber ich habe jetzt Urlaub und möchte dann nicht an einer mehrtägigen Zoomkonferenz teilnehmen, was das Tagungsbüro der DBK sehr bedauerte, doch verstehen konnte.

Dafür bin ich wieder aquajoggen gewesen. So lernte ich das Hallenbad in der Gemeinde kennen, das sehr viel näher liegt als das, das ich im Frühsommer besuchte, als man mit der Öffnung von Sport- und Freizeitanlagen noch vorsichtiger war. Am Donnerstag hatte ich einen Termin bei meiner neuen Gynäkologin und bekam eine Grippeschutzimpfung.

Ich bin gespannt, wie das mit Corona weitergeht. Ich selbst bin hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach sehr viel stärkeren Restriktionen und dem Wissen um die Sorgen des Mittelstandes und der Leute, denen die Einhaltung der Regeln mehr Umstände bereitet als mir. Auch mich bekümmert, dass ich meine Familie in den letzten zwölf Monaten nur zwei Mal für wenige Stunden gesehen habe und manche Freundinnen durch die Gesamtumstände vor Corona mittlerweile sehr viel länger nicht. Andererseits bin ich nicht so ein Gruppenmensch und der Freundes- und Bekanntenkreis stammt ohnehin nahezu ganz aus dem Internet. Mit Frau K. wäre ich eigentlich Mitte November verabredet. Ob wir uns zusätzlich noch im Oktober treffen, steht noch nicht fest. Bisher sind wir eher skeptisch.

Letzthin bin ich zwei Mal als Referentin bei Zoomkonferenzen gewesen, wo es um die digitale Kirche ging. Das ist schon faszinierend, wie kreativ die Kolleg:innen mit der Situation umgehen. Das erlebe ich auch dienstlich auf der Pfarrkonferenz und meine damit nicht nur die digitalen oder hybriden Ideen. Umso mehr sorge ich mich, wie es sein wird, wenn Corona soweit vorbei ist, dass Leben und Arbeiten wieder ohne Beschränkungen möglich ist. Wird dann das Rad zurückgedreht, all die neuen Formen mit den neuen Besucher_innen wieder abgeschafft?

Eine Kollegin berichtete in einer der Zoomkonferenzen über deutlich mehr und neue Teilnehmer in einem Gottesdienst, den sie mit ihrem Team auf eine Hybridform aus analog und digital umgestellt hatte. Gleichzeitig sehnte sie sich nach der ursprünglichen, analogen Form zurück, die für sie weit weniger anstregend war. Dort musste sie nur die Leute vor Ort im Blick haben und war nicht noch für zugeschaltete audio und audiovisuelle Besucher zuständig, was ganz andere Anforderungen an ihre Rolle als Liturgin stellte.

Ich dachte zuerst: „So what? Wer wird zur alten Form zurückkehren und damit den neu Dazugekommenen die Tür weisen?“ Andererseits ist die Arbeitsbelastung der Pfarrschaft enorm. Man hat so viele Stellen weggekürzt und die Gemeindegliederzahl pro Stelle immer weiter nach oben geschraubt. Dies dient nicht nur der Anpassung an veränderte kirchliche und wirtschaftliche Verhältnisse, sondern hält die Pfarrschaft außerdem ruhig, weil vor lauter Arbeit keine Zeit für wirkliche Veränderungen bleibt. Corona mit seiner auferlegten Stille im Alltag und dem Aufruf zur Phantasie bietet darin eine Chance, vielleicht die einzige Chance, aus alten Mustern auszusteigen und tatsächlich neues zu wagen. Aber erst wenn der überkommene Alltag wieder möglich ist, wird sich zeigen, was und ob die Kirche lernen und verändern wollte.

Soweit für heute. Nur eins noch: Dieses neue WordPress-System ist die Pest! Ich verstehe es nicht, es ist nicht im mindesten intuitiv. Selbst die Zwischenlösung der letzten Monate ist dahin. Ich steige mittlerweile zum Schreiben wieder in den virtuellen Keller, um mir die ganz alte WordPress-Maske hervorzuholen und sogar die zickt rum. Im Radio läuft unterdessen „Charmaine“ von Mantovani. Den nehme ich noch mit.