
Bei der Abschlussprüfung fürs Bogenschießen waren im Kurs eine Sozialpädagogin und ich zuständig für den Anfang und den Schluss. Ich übernahm Begrüßung und Abschied, verbunden mit ein paar besinnlichen Worten; die Kollegin moderierte zuerst die Vorstellungs- und später die Feedbackrunde.
Kenne ich es aus kirchlichen Gruppen so, dass dann der „Redestift“, eine Klangschale oder ein Bronzeengel kreisen, hatte die Kollegin dafür eine große Vogelfeder mitgebracht. Später erklärte sie uns, dass sie Vögel sehr mag und dass das Auflesen gefundener Federn im Wald bereits unter Wilderei fällt. Außerdem erzählte sie uns von der Adlerwarte Berlebeck, ebenfalls in Detmold gelegen, die die älteste und größte Greifvogelwarte in Europa ist. Weil ich davon noch nie gehört hatte, fuhr ich dort heute hin:
An der Adlerwarte angekommen ging es vom Parkplatz eine Treppe nach oben auf den Berg. Nicht allzu steil, mit Bänken für Pausen, aber doch eine kleine Strecke. Man wurde dabei mit Bannern zum Aufstieg motiviert. Angefangen mit „Herzlich willkommen“, dazu das Bild eines Weißkopfseeadlers und der Hinweis „noch 230 m“ und immer weiter mit Vogelbildern, Countdown und dem Hinweis „Zum Greifen nah“ [1]. Dieser Humor fand sich an mehreren Stellen wieder: Ein Gehege älterer Vögel hieß „Rentnergang“ und die drei Kappengeier, die bei der Flugshow auftraten, hörten auf die Namen Wally, Rainer und Stöpsel.
Oben auf dem Gelände, von der Freiflugtribüne aus, hatte man einen wunderbaren Blick ins Tal bis wieder hinauf in den Teutoburger Wald [2]. Auch wenn die Berge hier nicht so hoch sind wie im Sauerland, wo ich herstamme, ging mir doch das Herz auf.
Dann fing das Freiflugprogramm an. Los ging’s mit Pinky, einem Wüstenbussard, der nach kleinen Rundflügen immer auf den Köpfen des Publikums landete [3]. Anschließend kamen die Weißkopfseeadler dran. Auf dem Arm des Falkners, der die Vorführung gut gelaunt in tiefstem Bayrisch moderierte, saß Bill [4] und auf der Ecke in einem Gehege sah ich Donald [5], der schon älter war.
Über all dem kreiste oben am Himmel ein Turmfalke aus der Nachbarschaft. Dass er jederzeit bereit sein würde, sein Revier samt Gelege gegen die großen Greifvögel zu verteidigen, konnte ich mir gar nicht vorstellen. Bis sich einer der Kappengeier [6] während der Vorführung zu einem Rundflug aufmachte. Kaum hatte er einigermaßen an Höhe gewonnen, schoss der Turmfalke im Sturzflug auf ihn herab. David gegen Goliath, die Geiersturzflugedition. Der kleine Kerl hat den Geier richtig rund gemacht.
Nach knapp einer Dreiviertelstunde war die Flugshow leider schon zu Ende. Ich ging nun den Rundweg entlang, an Gehegen und Volieren vorbei. Dabei sah ich auch zwei Steinadler, von denen einer auf einem Ast saß [7]. Als Kind hatte ich mir immer gewünscht, einmal einen Steinadler „in echt“ zu sehen. Dieser Wunsch ging heute in Erfüllung.
Damals hatte mir nämlich mein Großvater ein Vogelkundebuch geschenkt, eigentlich ein Sammelalbum des Cigaretten-Bilderdienstes von 1936, für das er in jungen Jahren die Bilder zusammengetragen hatte. Der Seeadler und der Steinadler standen darin auf der ersten Seite [8]. Als ich wieder zu Hause war, nahm ich das Buch direkt aus dem Regal.
Dabei wäre ich gerne noch etwas länger geblieben und hätte mir noch ein Würstchen und etwas zu trinken auf der Adlerwarte geholt. Aber die Schlange war zu lang, weil nur ein Kiosk geöffnet hatte. Also fuhr ich lieber heim. Dort aß ich einen großen Teller von dem Chili con Carne, das ich gestern gekocht hatte. Aufgewärmt mit einem Klecks Schmand und einem Kanten Brot schmeckte das besonders gut.