Ich bin jetzt zertifizierte Trainerin für pädagogisches und therapeutisches Bogenschießen. In einer Langzeitfortbildung von vier Modulen, die sich über ein Schuljahr erstreckte, habe ich mich dafür qualifiziert. Ich lernte, Leuten das Schießen mit Recurve- oder Langbögen zu zeigen und sie dabei anzuleiten; auf die richtige Ausrüstung und das Einhalten der Sicherheitsregeln zu achten; wie man Kurse oder Seminare gestaltet und was sich dort an Gruppendynamik und individuellen Themen möglicherweise eröffnen könnte.

Im Kurs waren wir zu siebt und kamen aus sozialen, pädagogischen, psycho- und ergotherapeutischen sowie durch mich theologischen Arbeitsfeldern. Vor allem das therapeutische Bogenschießen meinte darum für jede:n etwas Anderes. So hatte ich angefangen, mich in den Bereich Meditation und geistliches Erleben einzuarbeiten, konnte aber darüber hinaus sehr von der interdisziplinären Zusammensetzung unseres Kurses profitieren.
Die Fortbildung fand in Detmold statt und wurde durchgeführt von Astrid, einer Trainerin für Bogenschießen und Anton, einem Diplomsportler mit Schwerpunkt Reha, der auch Lehrtherapeut für KBT ist. Erweiterung der eigenen Schießtechnik und der Selbstwahrnehmung gehörten also ebenfalls dazu.
Sehr eingenommen hat mich außerdem, dass uns Anton auch den ethischen Umgang mit Menschen und Gruppen vermittelte. Statt des Üblichen „Natürlich gibt es ethische Standards, ich habe dazu mal das Merkblatt unseres Verbandes mitgebracht.“ ging er ins Detail und erklärte an unterschiedlichen Beispielen, wo seelischer oder körperlicher Missbrauch beginnen. Uns für diesen Grenzbereich zu sensibilisieren empfand ich als Kirchenfrau als echten Segen. Und so froh ich bin, dass ich mein Zertifikat bekommen habe, werde ich das gemeinsame Training und den fachlichen Austausch in der Gruppe vermissen. Das nachstehende Foto machte Charlie, einer der Kursteilnehmer, im Winter nicht in Detmold, sondern in Horn-Bad Meinberg:

Durch den pädagogisch-therapeutischen Ansatz war die Fortbildung auf Breitensport in allen Generationen ausgerichtet, ohne Leistungsdruck und Turnierscheiß. Zumindest gab es bei uns im Kurs niemanden, der in diese Richtung gegangen wäre.
Obwohl ich in jungen Jahren schlank und beweglich war, bin ich sehr unsportlich, mit der entsprechenden emotionalen Verletzungsgeschichte, die jedes unsportliche Kind kennt. An einer Sportfortbildung teilzunehmen, war darum für mich eine echte Heldentat. Zu meiner Überraschung wurde ich aber ganz selbstverständlich dabei unterstützt, meine Erfahrungen in Ideen und Techniken umzumünzen. Das hatte ich so nicht erwartet.

Der Landessportbund beschied mir trotzdem, für einen Übungsleiterschein nicht geeignet zu sein; ich hatte mich parallel darum bemüht: Zwar hätte ich meinen Schwerpunktsport wie andere auch, müsste aber während der Seminare beim üblichen Schulsportterror (Turnen, Leichtathletik, Ballsport) einigermaßen mithalten können, sonst brauchte ich mich gar nicht erst anzumelden. Achtsam und ermutigend Sport zu treiben geht anders. Das weiß ich mittlerweile, denn ich habe mit Bogenschießen und Aquagymnastik meinen Weg gefunden. Aber in Sportbund und Schule lernen sie das nicht mehr.
Am letzten Tag der Fortbildung absolvierten wir eine Prüfung, bei der wir im Team eine Gruppe von uns unbekannten Leuten ohne Schießerfahrung in einem selbsterstellten Halbtagsseminar anleiten mussten. Danach gab es die Zertifikate und für mich noch einen heftigen Konflikt mit der Detmolder VHS als offizieller Veranstalterin (du meine Güte) und dann war’s vorbei. Kaum 48 Stunden später saß ich am Montag im Flieger nach Rom, um Benedikt zu besuchen und ein paar Tage Urlaub zu machen.

Obwohl das eine gute Idee war, hatte ich mich mit der Terminplanung ordentlich verschätzt. Angefangen damit, dass ich erst ein paar Tage gebraucht hätte, um den Abschluss der Fortbildung zu verarbeiten, meine Unterlagen zu sortieren und mich innerlich zu verabschieden. Locker zu bleiben, erstmal wegzufahren und das Abheften und Aufräumen auf später zu verschieben, funktioniert bei mir einfach nicht. Dazu diese Affenhitze! Ich hatte gedacht, im Juni könnte ich es in Italien noch einigermaßen aushalten. Das war falsch. Und Bahn und Lufthansa besorgten den Rest.
Da ich nicht so oft ins Ausland reise, bin ich zugegeben auch nicht erfahren genug, um das Alles im Vorhinein richtig einzuschätzen. Wobei zumindest die Entscheidung für ein Hotel mit Pool wirklich clever war. Die Klimaanlage im Hotelzimmer, viel Schlaf und einige Tränen sorgten schließlich dafür, dass es nach zwei Tagen halbwegs ging.
Dass ich das dritte Mal in Rom war, erwies sich als Vorteil. So hatte ich nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Im Gegenteil nahm ich die Stadt zum ersten Mal nicht nur als Faszinosum, sondern als normale Großstadt wahr: Auch der gemeine Römer sucht nach der Arbeit einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung und muss später noch einmal mit dem Hund raus. Der Bus- und Bahnverkehr ist in jeder Hinsicht vorbildlich und der Müll wird mittlerweile auch getrennt. Italien überholt uns; mit dem ehrenwerten Herrn MiM hatte ich mich nach meiner Rückkehr darüber ausgetauscht.

Doch erstmal gab es theologisches und überhaupt Sightseeing mit Benedikt. Jeden Tag ein Schwerpunkt, dazu was an Kirchen unterwegs so vorbeikam. Am Dienstag guckten wir uns den Petersdom von unten an, namentlich die Capella Clementina und am Donnerstag fuhren wir nach Ostia an den Strand, damit ich eine Runde im Meer baden konnte. Das war genau richtig, denn ich mag das Mittelmeer sehr, würde mich aber bei einem Strandurlaub zu Tode langweilen.
Mein absolutes Highlight war am Mittwoch der Besuch bei Jago im Palazzo Bonaparte, gegenüber der Schreibmaschine. Ich hatte mich im Vorfeld dazu informiert und war gespannt bis skeptisch: Die Pieta umzudrehen, sodass ein Vater seine tote Tochter hält, mag ein Kunstgriff sein. Aber ist es deswegen auch Kunst und nicht die ewige Wiederkehr des Patriarchats?

Doch als ich da war, verflogen meine Bedenken. Jago hat einen scharfen Blick, aber er denunziert seine Figuren nicht, sondern lässt ihnen genügend Intimsphäre, auch wenn sie nackt sind. Und es gelingt ihm tatsächlich, sie nicht nur sehr detailgenau abzubilden, sondern das je Andere, das Neue zu zeigen: Die Pieta, mit einem kahlköpfigen Marmorheld, der weint. Die Venus ohne Haupthaar als alte Frau; auch die Büste Benedikts XVI. ist abseits des Schopfes seltsam haarlos. Ich habe mir den Katalog zur Ausstellung gekauft und bin gespannt, was von diesem Künstler noch kommt. Er ist erst 35 Jahre alt.
Am Freitag ging es wieder nach Hause. Auf der Hinreise zum Flughafen hatte ich einen Stehplatz in der 1. Klasse, die überfüllt war wie ein Zug zum Kirchentag. Darum dachte ich, es könnte zurück nicht schlimmer kommen. Doch die Bahn so: „Hold my beer!“
Einen Anschlusszug ab Dortmund verpasste ich, weil ich weder per Durchsage noch per App mitbekam, wie von jetzt auf gleich der Bahnsteig wechselte und der Folgezug blieb in Beckum stehen, weil in Rheda-Wiedenbrück ein Güterzug entgleist war. Von dort ging es darum mit dem Taxi weiter. Inklusive aller Verpätungen war ich erst um Mitternacht nach 14 Stunden Rückreise daheim.
Mittlerweile bin ich seit drei Wochen wieder im Dienst und habe als Springerin alle Hände voll mit Beerdigungen zu tun. Die Kolleg:innen sind im Urlaub oder haben Corona. Da nur noch die PCR-Tests gezählt werden, stimmen die niedrigen Inzidenzwerte vorne und hinten nicht.

Vor zwei Wochen ließ ich mir endlich das Tattoo auf die Narbe stechen. Es ist ein Daggertattoo mit Pink Ribbon geworden und meine perfektionistische Inkerin hat die Mittellinie des Dolches exakt auf die Narbe gesetzt. Es heilt völlig unspektakulär und juckt fast gar nicht.
Am Sonntag war ich nicht nur mit Gottesdienst, sondern auch bei kirche@zuhause dran. Den Impuls fürs Internet nahm mein journalistischer Kollege auf, der für dieses Konzept zuständig ist. Ich hatte mich die ganze Woche wie ein Schnitzel darauf gefreut. Es ist ein bisschen wie bei einem Zwei-Personen-BarCamp: Der technisch versierte Journalist und die nerdige Pfarrerin tauschen sich so lange aus, bis ein geistlicher Impuls auf You Tube entsteht. Schön war’s. Und wenn ich beim Thema „Augenhöhe“ in die Kamera, statt auf meinen Kollegen geschaut hätte, wäre es noch besser geworden.