Nun hatte ich in der neuen Stadt gerade ein bisschen Fuß gefasst, als ich vor zwei Wochen ins Krankenhaus musste, weil ich bei der Mammographie ab 50 ein Ticket gezogen hatte. Dabei bin ich nur fürs gute Gewissen hingegangen, zähneknirschend; die Einladung zum Screening kam, als ich noch nicht alle Umzugskisten ausgepackt hatte. Und dann war es genau rechtzeitig, um die Geschichte kurz zu machen.
Das Screening ist unter den Frauen umstritten, nur die Hälfte geht hin. Ich bin jetzt natürlich eines besseren belehrt und sprach auch mit dem Arzt im Krankenhaus darüber: „Es ist wie bei Corona, weil wir mehr testen, finden wir auch mehr. Dadurch nimmt die Sterblichkeit ab, weil wir schneller sind. Wenn Sie viel im Internet unterwegs sind, sagen Sie das den Frauen, damit sie teilnehmen.“ Meinen Befund z.B. konnte man nur durch die Mammographie erkennen; tasten oder bei der Operation mit bloßem Auge sehen konnte man noch nichts. Eine nicht so häufige Vorstufe, von der man nicht weiß, ob und wann sie aufgegangen wäre. Aber Zellen waren da und wurden durch eine Operation entfernt. Am Montag hatte ich das Abschlussgespräch bei meiner Ärztin, erst in einem Jahr soll ich wieder hin. Wobei sie mir anbot, bereits nach der Hälfte der Zeit einen Ultraschall zu machen. Sacken lassen muss ich das Ganze trotzdem noch.
Anlässlich von OP und Krankenhausaufenthalt aktualisierte ich meine Patientinnenverfügung nebst Vollmachten, dazu besprach ich mich ausführlich mit Frau K., meiner Tochter. Ich nutzte die Vorlagen der Malteser. Gut gefallen hat mir, dass es ein Einlegeblatt für COVID 19 gab. So konnte ich all die unerwünschten Leidensverlängerungen ausschließen, im Fall von Corona aber eine begrenzte Ausnahme machen.
Eigentlich hätte ich zwei Nächte im Krankenhaus verbringen sollen, doch weil am Aufnahmetag außer den Untersuchungen nichts los war, durfte ich mittags nach Hause und musste mich erst am nächsten Morgen nüchtern zur OP wieder einfinden. Ab da teilte ich mir das Zimmer mit einer Frau türkischer Herkunft, nur wenig jünger als ich. Wir kamen gut miteinander zurecht. Ich freute mich über ihre entspannte Art, die gänzlich frei von Politsprech und den oft damit einhergehenden Spiegelfechtereien war und natürlich trotzdem nicht ohne Geist und Meinung. Sie hingegen fand es spannend, mit einer Pfarrerin zusammen zu sein und kringelte sich jedesmal vor Lachen, wenn ich mich in unseren Gesprächen artig als „Biodeutsche“ bezeichnete.
Ich erfuhr, dass die Polarisierung, die wir allenthalben beklagen, selbst vor der Grundschule nicht halt macht. So wird den Kindern der Zimmernachbarin von den Lehrern erklärt, was man nicht sagen darf aus ganz unterschiedlichen Gründen und von den Mitschülern mit arabischer Tradition, was man nicht sagen darf, weil es nicht fromm genug ist. Mit beidem kommen sie dann zu Hause an. Es ist die Aufgabe der Lehrer, die Jugend zu unterrichten und zu menschenfreundlicher Wortwahl anzuhalten und was sich die Kinder gegenseitig auf dem Schulhof erzählen, muss man immer mit etwas Vorsicht betrachten. Trotzdem hat mich diese Geschichte in mehreren Hinsichten nachdenklich gestimmt.
Was wir uns im Christentum dabei denken, Menschen, die durch Suizid sterben, nicht kirchlich zu bestatten, wurde ich meinerseits gefragt. Ich konnte das für meine Konfession gänzlich und für die katholische Kirche zumindest für die heutige Zeit entkräften. „Glaubt ihr wirklich, ihr könnt einen Menschen anhand einer einzigen Handlung beurteilen, statt sein Herz im Ganzen anzusehen, wie Allah es tut und glaubt ihr wirklich, das steht euch zu?“ Wir waren uns schließlich ganz grundsätzlich einig, dass man damit auch an anderen Stellen weiterkommt (wenn man es nicht so macht), in unserem Krankenzimmer auf jeden Fall und draußen vermutlich auch. [Vgl. I Sam 16,7.]
Insgesamt bin ich vier Wochen aus allem raus gewesen, Mittwoch fing ich wieder an zu arbeiten. Nach der langen Auszeit bis zum Umzug war mir ausreichend Ruhe anlässlich der OP wichtig. Dazu gehörte, dass ich zwei Tage in dem Kloster verbrachte, in dem ich letztes Jahr zu einem längeren Aufenthalt war. Dieses Mal war das Nach- und Abschlusstreffen dran, das mir gut gefallen hat. Sehr zu meiner Freude wird im nächsten Jahr vierteljährlich ein supervisorischer Gruppentag für alle angeboten, die an dem Programm teilgenommen haben. Das Ganze findet in der noch größeren Stadt nebenan statt. Das ist also nicht weit, sodass ich mich anmeldete.
Schön war auch, dass ich die erste Nacht aushäusig seit der neuen Stadt in meinem vertrauten Appartement im Kloster verbrachte. Die Reisemöglichkeiten sind ja durch Corona sehr begrenzt, aber wenn mein erster Aufenthalt woanders das Krankenhaus gewesen wäre, wäre ich doch geknickt gewesen.
Dennoch ist alles, was ich für die Urlaubstage zwischen Kloster, Krankenhaus und drumherum geplant hatte, ins Wasser gefallen. Dort liegt es immer noch, denn die Schwimmbäder sind ja geschlossen, dabei dürfte ich jetzt sogar wieder hin. Zum ersten Mal fällt mir der Lockdown schwer. Ich bin es gewohnt, Freundschaften über Distanzen hinweg zu führen, Freund:innen und Bekannte haben meistens weit weg gewohnt, sodass man sich nur selten sah. Aber durch das schwierige letzte Jahr, das direkt in Corona überging, bin ich jetzt seit 14 Monaten dabei und nicht erst seit dem Frühjahr. Dadurch dass ich seit Mittwoch wieder arbeite, wird es zwar besser, trotzdem vermisse ich die Leute, mit denen ich mich überwiegend bei Twitter rumtreibe, die ich aber durch BarCamps etc. immer mal wieder sah.
Erschwerend hinzu kommt, dass sich in meinem Leben dieses Jahr viel verändert hat. Das Kaleidoskop hat sich gedreht, neue Muster werden erkennbar. Gerade darum wäre es wichtig, die üblichen Verdächtigen an den vertrauten Orten zu treffen, die Temperatur zu fühlen, nachzusehen, wo sie sind oder wir miteinander. Erst kürzlich, als eine Tür mit Wucht zugeschlagen wurde, habe ich erlebt, wenn da auf einmal nichts mehr ist. Seit dem sorge ich mich.
Das Bild zeigt meine Drainagetasche und ein Herzkissen, das von Herzen lindern Schmerzen genäht wurde und das ich im Krankenhaus auf meinem Kopfkissen als Geschenk und zum Lagern nach der OP fand. Herzlichen Dank dafür! #PinkRibbon 🎀