Vorwort

„Eine meiner ersten Lektüren nach dem Beginn des Theologiestudiums zu Anfang des Jahres 1946 war Romano Guardinis schmales Erstlingsbuch ‚Vom Geist der Liturgie‘, das zu Ostern 1918 als Eröffnungsband der von Abt Ildefons Herwegen herausgegebenen Schriftenreihe ‚Ecclesia Orans‘ erschienen war und in immer neuen Auflagen nachgedruckt werden mußte. Diese kleine Schrift darf man wohl mit Fug und Recht als den Aufbruch der Liturgischen Bewegung in Deutschland bezeichnen. Sie hat ganz wesentlich dazu beigetragen daß die Liturgie in ihrer Schönheit, ihrem verborgenen Reichtum und ihrer die Zeiten überschreitenden Größe neu als beseelende Mitte der Kirche und als Mitte des christlichen Lebens entdeckt wurde. Sie hat dazu geführt, daß man sich mühte, die Liturgie ‚wesentlicher‘ zu feiern (ein Lieblingswort Guardinis); man wollte sie von ihrem inneren Anspruch und von ihrer inneren Gestalt her verstehen lernen als das vom Heiligen Geist selbst gewirkte und gelenkte Beten der Kirche, in dem Christus immerfort neu gleichzeitig wird mit uns, in unser Leben hineintritt. […]

Zu diesem erneuerten Verstehen zu verhelfen ist die Absicht des Buches, das ich hiermit der Öffentlichkeit vorlege. In seinen wesentlichen Intentionen deckt es sich durchaus mit dem, was seinerzeit Guardinis Schrift gewollt hatte; deswegen habe ich mit Absicht einen Titel gewählt, der sofort an diesen Klassiker liturgischer Theologie denken läßt. Nur mußte das, was Guardini am Ende des Ersten Weltkriegs in einem völlig anderen geschichtlichen Kontext ausgeführt hatte, in den Zusammenhang unserer gegenwärtigen Fragestellungen, Hoffnungen und Gefahren versetzt werden. Wie Guardini, so geht es auch mir nicht um wissenschaftliche Auseinandersetzungen oder Forschungen, sondern um eine Hilfe zum Verstehen des Glaubens und zum rechten Vollzug seiner zentralen Ausdrucksform in der Liturgie. Wenn das Buch auf neue Weise so etwas wie ‚liturgische Bewegung‘, Bewegung zur Liturgie hin und in ihren rechten äußeren und inneren Vollzug hinein anstoßen könnte, so wäre die Absicht reichlich erfüllt, die mich zu dieser Arbeit gedrängt hat.“

Rom, am Fest des heiligen Augustinus 1999

Joseph Cardinal Ratzinger

in: Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg 2002 (6)

Dazu der Nachruf von Philipp Greifenstein hier und weitere von ihm gesammelte dort.