Was bisher geschah

Ich bin der Advents- und Weihnachtszeit dieses Mal ziemlich überdrüssig. Bis kurz vor Heiligabend war es auf eine Weise ruhig, die mich misstrauisch werden ließ. Zu recht, wie sich zeigen sollte. Aber erstmal machte ich eine Anleihe beim Judentum.

Reibeplätzchen-Bäckerei: Auf dem Herd welche in der Pfanne und auf einem Teller, auf der kalten Herdplatte schräg gegenüber, fertige zum Abtropfen auf Zewa. Neben dem Herd auf der Mikrowelle ein Teller fertig angerichtet mit Latkes und Apfelmus, davor die fast leere Teigschüssel und ein Beistellteller mit Gabel und Pfannenwender.

Dort gibt es traditionell Latkes, also Reibeplätzchen, zum Festessen an Chanukkah. Die mag ich ausgesprochen gern, bin aber regelmäßig zu faul, die Küchenmaschine zum Reiben aufzubauen und zu viele Kalorien sind in den Puffern auch. Durch den jüdischen Kalender habe ich jetzt trotzdem einmal jährlich einen festen Termin, sie zu machen und gleich ein paar Portionen einzufrieren, die ich später im Toaster oder im Ofen wieder aufbacke. Man soll sich ja in andere Religionen nicht einmischen, aber Latkes im Dezember sind einfach super.

Außerdem ließ ich mir zu Nikolaus zwei weitere Tattoos stechen, während mich meine Inkerin aufgrund ihrer mennonitischen Erfahrungen zusätzlich mit allerlei Fragen löcherte. Dann ging noch die Tür auf und ein Kumpel des Studios kam herein, der sich zu den messianischen Christen hielt. Dessen Schriftauslegung hätte ich jetzt nicht gebraucht, wobei er sich allerdings hinterher entschuldigte, mich genervt zu haben, während ich an der Nadel hing und nicht wegkonnte. Als Motive hatte ich mich für „Iris selbdritt“ und die vier protestantischen Soli entschieden. Und nein, ich habe mir das Setting drumherum nicht ausgedacht.

Auf der Außenseite meiner Unterame unter dem Ellenbogen je eine Iris mit Stielansatz Richtung Handgelenk und darunter die vier Soli in Schreibmaschinenschrift. Linker Arm: sola fide, sola scriptura (allein aus Glauben, allein die Schrift); rechter Arm: solus Christus, sola gratia (allein Christus, allein aus Gnade).

Die Tattoos sind wunderschön geworden und juckten beim Heilen wie die Pest. Also alles in Ordnung, aber immer noch merkwürdig ruhig. Bis wenige Tage vor meinen Reibeplätzchen, dann ging es los: Die Prädikantin der Gemeinde bekam Corona und mein Kollege ihre Christvesper und weil er neben ihr gesessen hatte, Halsschmerzen. Nachdem die Halsschmerzen bei ihm folgenlos verschwanden, tauchten sie beim Organisten wieder auf, der auch bei mir im Krippenspiel dabei sein sollte. Als wir mit viel Glück noch eine Vertretung fanden, warteten wir nicht mehr ab, sondern schickten ihn nach Hause, um sich auszukurieren. Ob Corona, Erkältung oder Grippe, das braucht man alles gleichermaßen nicht.

Jetzt wartete ich nur noch auf den Termin für die Generalprobe des Krippenspiels. Pünktlich, kurz nach der Mittagspause, klingelte das Telefon. Entspannt nahm ich ab und lief so der Supsekretärin völlig ungeschützt in den aufgeschlagenen Terminkalender. Zwei Nachbarkollegen waren krank geworden, als Springerin bekam ich eine Beerdigung, einen Silvestergottesdienst und stante pede zehn Tage Magenschmerzen. Nicht weil es zu viel Arbeit gewesen wäre, sondern davon, anderthalb Wochen mit immer neuen Schreckenstelefonaten getriezt worden zu sein.

Wobei ich die Nachbargemeinde von meinem ersten Jahr hier kenne und hüben wie drüben alles bestens verlief, sodass wir uns im Rahmen der Umstände aufeinander freuten. Gleichzeitig war ich einfach völlig mürbe. Dass ausgerechnet der Neujahrsgottesdienst der Gemeinde, in der ich jetzt eingesetzt bin, zum Highlight wurde, hatte ich darum nicht erwartet. Der sollte um 11 Uhr morgens mit Abendmahl stattfinden. Ich rechnete nur mit einer kleinen Schar und bereitete zusammen mit einem Presbyter ein Tischabendmahl im Seitenflügel des Gemeindehauses und statt Predigt ein Bibelgespräch über die Jahreslosung vor, die ich auf Postkarten mit unterschiedlichen Motiven mitgebracht hatte. Doch auf einmal waren wir zwanzig Leute und mussten einen weiteren Tisch dazustellen. Der Organist war auch wieder gesund und begleitete uns auf dem Klavier.

Stimmungsvolles Foto vom Tisch vor mir beim Neujahrsgottesdienst. Mit einem Glas, darin etwas Traubensaft, daneben ein Tellerchen mit einer Scheibe Baguette; meine Klangschale; Deko und Kerzen.

Die Gemeinde, der ich vorletzten Sommer zugeteilt wurde, gehört zum Bible Belt des hiesigen Kirchenkreises. Ich wollte deswegen nicht hin, muss aber zugeben, dass dort wirklich gut Sein ist. Die Leute sind warmherzig, wir reden und beten viel, es ist offen, nicht eng und gesetzlich. Auch mein Kollege und ich ergänzen uns gut. Nach wir vor haben wir nur einmal im Monat Dienstgespräch und sind in der Regel nach einer Dreiviertelstunde fertig. Letztes Wochenende war ich zusammen mit dem CVJM auf Konfifreizeit im hiesigen CVJM-Heim. Wir tauften dort vier Konfis und die Zusammenarbeit mit dem Team der Gemeindejugend klappte prima.

Vier brennende, selbstgestaltete Taufkerzen, eine kleinere Anzündkerze auf einem bunten, selbst gestaltetem Altartuch. Im Hintergrund ein Wärmtier (Schaf) und ein selbstgeflochtenes Seil.

Als Sauerländerin komme ich ja aus einem evangelikalen Gemeindeumfeld. CVJM, EC, SBK, SMD – ich habe das alles hinter mir. Bis ich im Studium damit brach und schließlich in der Berneuchener Bewegung eine neue Heimat fand, ohne dort heute durch Mitgliedschaft gebunden zu sein. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass irgendetwas fehlte, wobei ich nicht wusste, was es war. Aufgefallen ist es mir meist an meinen Predigten. Dabei bekomme ich dafür häufig viel Lob, gelte als gut verständlich, zumal ich recht frei reden kann; wenn ich genügend Zeit zur inneren Bereitung habe, auch ganz ohne Vorlage oder nur mit drei, vier Stichpunkten.

Hier in der Gemeinde schließt sich endlich der Kreis. Offenkundig bin ich als Pfarrerin in meinem Handeln und Predigen mehr vom Pietismus geprägt, als ich vermutet hatte. Ich mache alles wie immer, doch plötzlich füllt sich die Lücke mit den Reaktionen der Gemeinde und ich fühle mich verstanden. Das hatte ich nicht erwartet und ich weiß noch nicht, was das bedeutet. Aber es bringt mich in meinem Glauben und Dienst gerade ziemlich weiter. Zudem wurde ich Mitte Januar zum „Perspektivgespräch“ ins Landeskirchenamt gebeten. Meine Zeit hier ist nach wie vor als Übergangslösung gedacht. Das ist jetzt genauer definiert, was ich noch sacken lassen muss.

Der #NeoKater mit großen, dunklen Augen auf meinem Schreibtisch neben dem aufgeklappten Macbook.

Der #NeoKater ist mitterweile medikamentös richtig eingestellt. Die Situation hat sich ganz gut eingespielt. Er ist immer noch sehr anhänglich und blind wie ein Fisch.

Auch der Heckmeck um Twitter und Mastodon hat sich beruhigt. Zwar irrlichtet Elon Musk weiter durchs System, aber Twitter steht noch. Mastodon entpuppt sich endgültig als eine Art Linkstwitter, mit genau denselben politischen Rundumschlägen, die man der Birdsite so bitter vorgeworfen hat, mit dem Unterschied, dass jetzt niemand mehr widerspricht oder wenigstens versuchsweise eine andere Perspektive einnimmt. Meine Tootline besteht an manchen Tagen fast nur noch aus woken Politkampagnen und ist dann komplett unlesbar. Ich bewege mich auf Mastodon darum meist nur noch in meinen selbstkuratierten Listen, zumal ich bei meiner Entscheidung bleibe, mich dort politisch nicht äußern zu wollen. Dabei bin ich durch die digitale und analoge Kirchenbubble ein linksgrünes Umfeld durchaus gewohnt.
Mittlerweile sind die Ersten von Mastodon wieder zurückgekehrt; nicht wenige suchen diplomatisch nach Ausreden, mit denen sie sich ihre Anwesenheit auf Twitter wenigstens ab und zu erklären. Das Thema ist immer noch nicht durch. Im Gegensatz zu mir. Zurück von der Konfifreizeit verschlief ich fast den ganzen Montag. Zum Glück habe ich jetzt zwei Wochen Urlaub.