Am Sonntag wurde ich in einem Festgottesdienst
in eine neue Gemeinde eingeführt
und das war meine Predigt.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gäste,
heute ist der Festtag der Confessio Augustana, des Augsburger Bekenntnisses, und dass ich ausgerechnet da eingeführt werde (und dann auch noch im Lutherjahr), erfüllt mich mit großer Freude, weil ich nämlich selbst Lutheranerin bin. In unserer Kirche geht das ja, es gibt Reformierte mit dem Heidelberger Katechismus, Unierte, die beides zu verbinden suchen, und eben Lutheraner.
Die haben sich 1530 diese Bekenntnisschrift gegeben, die heute im Übrigen für alle Evangelischen in Westfalen gilt. Melanchthon hat sie zusammen mit einigen Leuten für den Reichstag in Augsburg geschrieben, wo man unter der Aufsicht Kaiser Karls V. das evangelische Glaubensgut verteidigen und sich mit der katholischen Kirche aussöhnen wollte. Um „die Meinung eines jeden in Liebe und Güte zu hören, zu verstehen und zu erwägen“, so wurde es ganz diplomatisch für den Reichstag ausgeschrieben und von dort erhielt das Augsburger Bekenntnis seinen Namen.
Was ist nun die Aufgabe einer Bekenntnisschrift?
Ich hatte es gerade schon gesagt: Verteidigen und Aussöhnen oder ganz diplomatisch ausgedrückt ‚hören, verstehen und erwägen‘. Schauen wir uns das genauer an, der Predigttext aus dem I Tim 6,11-16 hilft uns dabei:
Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut! Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen. Ich gebiete dir vor Gott, der alle Dinge lebendig macht, und vor Jesus Christus, der unter Pontius Pilatus bezeugt hat das gute Bekenntnis, dass du das Gebot unbefleckt und untadelig bewahrst bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, welche uns zeigen wird zu seiner Zeit der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann. Dem sei Ehre und ewige Macht. Amen.
„Kämpfe des guten Kampf des Glaubens.“ Für das ewige Leben und um deinen Glauben zu bezeugen. Das hat zwei Richtungen, fangen wir mit der ersten an:
Am meisten ringt man ja mit sich selbst. Mit dem eigenen Schweinehund, dem inneren Zweifel, der eigenen Trägheit.
Erst im zweiten Schritt wendet man sich nach außen und versucht, für seine Überzeugungen einzustehen. Durchaus energisch, aber nicht hart, sondern barmherzig zu sich selbst und zu anderen, denn so soll es ja unter uns sein, dass unser Kampf, unser Engagement, von ‚Gerechtigkeit getragen wird, von Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Geduld und Sanftmut‘.
‚Fliehe alles, was das Gegenteil davon ist‘, so geht der Predigttext eigentlich los, den Halbsatz reiche ich an dieser Stelle nach. „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens“, für dich und für andere und sei barmherzig dabei.
‚Bewahre die Gebote, unbefleckt und untadelig, bis unser Herr Jesus wiederkommt‘, und die angefangene Welt zu Ende bringt. „Unbefleckt und untadelig“, wie mag das gehen?
Schauen wir, was das Augsburger Bekenntnis dazu sagt.
Wieder gibt es zwei Antworten:
Die erste und wichtigste lautet, das geht gar nicht. Wir können die Gebote gar nicht einhalten, wir kriegen das nicht hin. Aber Gott vergibt uns trotzdem und wir bleiben als Menschen wertvoll. Es gibt keine Werkgerechtigkeit im Protestantismus (CA 4). Es gibt keinen Wert, den Menschen sich gegenseitig allgemeinverbindlich zumessen, das ist allein Gottes Sache und der legt sich da als Schöpfer fest.
In seiner modernen Form ist das die Menschenwürde; der Gottesbezug im Grundgesetz kommt genau daher: Er ist das Symbol dafür, dass jeder Mensch gleichermaßen wertvoll ist, unabhängig davon, was er kann und tut und was ein anderer über ihn denkt.
Wenn wir trotzdem versuchen, die Gebote zu halten, denn das sollen wir, dann weil wir es für Gott und damit für unseren Nächsten tun, und nicht, um uns wichtig zu machen. Die Confessio Augustana sagt es so (CA 6):
„Dass dieser Glaube gute Früchte und gute Werke hervorbringen soll, und dass man gute Werke tun muss und zwar alle, die Gott geboten hat, um Gottes willen.“
Und im ersten Timotheusbrief steht, kurz bevor der Predigttext losgeht, „ein großer Gewinn aber ist die Frömmigkeit zusammen mit der Genügsamkeit“.
Bewahre die Gebote, aber nimm dich dabei nicht so wichtig.
Doch gab es zu der Frage, wie bewahre ich die Gebote unbefleckt und untadelig, noch ein zweite Antwort: Mach, wie du meinst. Auch das steht im Augsburger Bekenntnis (CA 7), nämlich wenn es darum geht, was Kirche ist.
Kirche (und nach unserem Verständnis damit auch Ökumene) findet dann statt, wenn das Evangelium unverfälscht gepredigt wird und Taufe und Abendmahl so durchgeführt werden, wie Jesus es vorgemacht hat. Das war’s. Ob ich dazu ein Lied von Paul Gerhardt singe oder lieber einen Gospel, ob ich eine evangelische Messe feiere oder ganz reformiert ohne Kerzen auf dem Tisch, ob ich lieber am Morgen bete oder am Abend, ist dafür, wie man es richtig macht, einerlei.
Das ringt mir in schwachen Stunden bisweilen einen Klagegesang ab: Über die Beliebigkeit, die den Glauben verwässert und über die bürokratische Enge, die die dadurch entstehenden Lücken füllt, über die „Kirchenleitenden“, die das atmende Gottesvolk nicht finden.
Und gleichzeitig ist dieser Teil des Bekenntnisses eine große Einladung zu Freiheit und Verantwortung! Wir haben ‚keinen knechtischen Geist‘ empfangen, sondern einen, der uns aufruft, im Vertrauen auf Gott loszugehen.
„Die Zielgruppe ‚alle‘ gibt es nicht“, habe ich im PR-Studium gelernt und wenn wir das ‚Evangelium verkündigen sollen an alles Volk‘, wie es in der Barmer Theologischen Erklärung (Art. 6) heißt, dann können wir es so tun, wie es uns richtig erscheint. Wir dürfen eine Tradition bewahren, weil sie schön ist und dem Glauben dient und wir sollen es jedesmal anders machen, wenn die Situation es erfordert.
Noch sind wir gefangen in der Welt, die uns diese und immer weitere Entscheidungen mit ihren Irrtümern abnötigt und zugleich sind wir frei, darin unsere Wege zu wählen; ich und Sie, Sie sind es auch, denn ich predige hier ja nicht mir selbst. „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens“, nimm deine Freiheit und deine Verantwortung wahr.
Wir haben es fast geschafft. Damit, den eigenen Standpunkt zu verteidigen und sich auszusöhnen, mit ‚hören, verstehen und erwägen‘, fing ich an zu erklären, wofür ein Bekenntnis nützlich sei. Es ist übrigens Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) gewesen, der genau das für die ökumenischen Gespräche wieder eingefordert hat. Denn ich kann mich nur dann mit jemandem vertragen, wenn ich weiß, wo ich selber stehe.
Die Freiheit, mit der das Augsburger Bekenntnis alle umarmt, die an das Evangelium glauben, ist mir darum auch ein Trost, wenn es in der Ökumene und auch im innerevangelischen Diskurs wieder einmal nicht vorangeht.
Aber auch dann „kämpfe den guten Kampf des Glaubens“, für dich, für andere, mit den Geboten im Herzen und der Verantwortung im Kopf. So lange, bis Jesus wieder zu uns kommt oder wir schließlich zu ihm (ich habe, soweit es mich betrifft, den Verdacht, dass letzteres zuerst eintritt).
Hier ist der Punkt, wo der Timotheusbrief seine Ermunterungen schrittweise hinter sich lässt und zum Lobpreis übergeht mit einem Finale über den „König aller Könige und Herrn aller Herren … Dem sei Ehre und ewige Macht“.
Auch das ist gut evangelisch, dass der Auslegung der Lobpreis folgt, dem Wort Gottes das fröhliche Lied der erlösten Gemeinde, was Luther gleich als ganzen Gottesdienst definiert: „Dass der Herr zu uns rede durch sein liebes Wort und wir ihm antworten mit Gebet und Lobgesang.“
„Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.“ Amen.