Neulich bei Bob Dylan

Ich war gestern bei Bob Dylan. In Krefeld, weil in Düsseldorf spielt er dieses Jahr nicht. Am Samstag nach Bielefeld wäre natürlich noch besser gewesen, leider fährt von dort abends kein Zug mehr heim und Sonntag muss ich konfirmieren. Man kann in Ostwestfalen zu tollen Sachen gehen, man kommt von dort nur nicht wieder zurück. Bei ZZ Top letztes Jahr in Halle i.W. war ich darum auch nicht.

Also auf an den Niederrhein, ich muss sagen, das war schon eine Show. Am Check in im Hotel standen wir zu fünft, einige hatten ihre Dylan-Shirts bereits an. Ich bin dieses Jahr das dritte Mal dabei, mittlerweile gehöre ich dazu, man erkennt mich als Fangirl auch ohne T-Shirt, ich hab’s erst auf dem Zimmer angezogen.

Das Taxi zum KönigPalast teilte ich mir mit einem älteren Ehepaar. Er mit wolfsgrauen Dreadlocks, sie ein wenig wie Joan Baez. Die Beiden kamen aus Wales und reisen die komplette Tour mit. Dass es das gibt, hatte ich schon öfter gehört, jetzt traf ich zum ersten Mal Leute, die das wirklich machen.

Überhaupt sind die Fans und Konzertbesucher bei Dylan ein Ereignis für sich: Ältere Herren mit Krückstock auf der einen und dem mittlerweile ebenfalls angegrauten Sohn auf der anderen Seite. Wohlgenährte Fastrentner im Karohemd mit der guten Lederweste vom Waderkonzert. Durchaus eine Menge junger Leute, wenig Ausgeflippte (dazu ist Dylan dann doch zu konzeptionell), mittlere und ältere Damen, die schwere Eisentüre zu den Waschräumen, ach ja. Wunderschöne Haarkränze nebst Gattinnen mit Handtaschen. Mittendrin ich, unter den Alten noch bei den Jungen, von den wirklich Jungen aber schon ignoriert. Vollschlank, eine Tochter, die dieses Mal nicht mitgekommen ist, wegen der neugeborenen Enkelin.

Rüber zum Merchandising. Ich brauche dringend ein weiteres T-Shirt, nicht schon wieder ein schwarzes. Ja, grau, und oh, ein Programmheft, das Kopftuch heißt Bandera, ritschratsch, katsching. „Thank you. Next?“

Ich gehe in den Innenraum, suche meinen Platz (Reihe 17, Platz 30) für eine kleine Pause. Die Halle ist noch fast, die Bühne ganz leer, ich mache ein Foto und bekomme vom Ordner prompt einen Anschiss. Das gehört so, sonst ist man nicht dabei gewesen, es wird überall auf Plakaten und per Ansage mitgeteilt: Der Künstler will keine Fotos, Aufnahmen, irgendwas. Bevor es losgeht, hole ich mir noch ein Bier. In Krefeld gibt es Benediktiner Weißbier, das geht in Ordnung.

Dann ist es endlich so weit. Punkt acht beginnt der Rhythmus der immer gleichen Bob-Dylan-Liturgie. Die Neuen erkennt man deswegen daran, dass sie die Regeln nicht wissen. Und die gehen so: Spätestens fünf Minuten vor Start auf dem eigenen Platz und Hintern sitzen, Handy oder Tablet lautlos, Getränk parat und bitte: Klappe halten! Wie in der Oper und nicht wie im Stadion. Nach zehn Minuten haben es auch die Letzten begriffen und endlich gibt es nur noch Stille, Dunkelheit, gelegentlichen Applaus und Bob Dylan mit seiner Musik, bis die Ersten das zweite Bier oder eine Toilette brauchen.

Wobei Dylan jedes Jahr ein bisschen weniger wird. Vor drei Jahren, als ich ihn das erste Mal live erlebte, spielte er nicht mehr Gitarre, seit letztem Jahr fehlt die Mundharmonika und dieses Jahr stehen zwei Shuremikros mit Ständer direkt nebeneinander, eins zum Festhalten, eins zum Singen. Manche finden ja, er sollte das mit dem Singen als nächstes lassen, ich meine das nicht, aber da komme ich gleich noch drauf. Stehen kann er jedenfalls nicht mehr gut, sitzen irgendwie auch nicht, die Stehhilfe hinter dem Flügel ist ihm am liebsten. Zarte Gesten fürs Publikum, nicht um der Zuwendung willen, sondern um das Gleichgewicht zu halten, ich habe diese Bewegungen bei Senioren zu oft gesehen.

Aber der ganze Mann ist trotzdem auf den Punkt genau da, die Stimme ist immer noch kraftvoll. Rau und schremmelig wie ein uralter Ziegenbock. Viel Tiefe, wenig Breite. Dafür wird die Tiefe immer vollkommener und zarter und melancholischer. Ein Hoch auf Grönemeyer, der uns beibrachte, dass man Texte nicht verstehen muss und da man die Melodie bei Dylan meistens ebenfalls nicht erkennt, kann man sich auch gleich fallen lassen oder wenigstens entspannen. Dann trifft man wie von allein wieder aufeinander. Love sick, Beat, für Beat, für Beat, es könnte ewig dauern und irgendwie tut es das auch. Der Melting point des Abends ist definitiv Autumn Leaves bzw. hätte es sein können, hätte sich der Mixer nicht in den ersten paar Sekunden mit dem Hall vertan und es entzaubert. Methode Dylan, dieses Mal aus Versehen.

Als das Konzert fast zu Ende ist, stehen wir doch auf und kommen nach vorne. Man wartet das gar nicht ab, man kennt die Liturgie, es ist so weit, die Ordner greifen nicht mehr ein, man geht zur Bühne und Bob Dylan lächelt. Das hatten wir so auch noch nicht. Oder jedenfalls lange nicht. Erste Takte, letztes Lied. Ballad of a thin Man, wer auch immer das ist.