Seit einigen Jahren zeigte sich, dass ich nicht mehr so gut höre. Auch als Diagnose war es irgendwann bekannt, aber ein Hörgerät stand noch nicht zur Debatte. Hinzu kam, dass ich Geräusche nicht gut filtern kann, was allerdings nicht am Ohr, sondern an den zuständigen Synapsen liegt.

Letztes Jahr wurde mein Hörvermögen schließlich so viel schlechter, dass ich im Herbst einen Termin bei einer HNO machte. Dieser verlief ausgesprochen schrecklich: Da der Hörtest durch zu viel richtiges Raten und ein im Standardverfahren fehlendes Tool teilweise auf der Grenze lang, nahm mich die Ärztin nicht ernst und ließ mich wie eine Schülerin abblitzen („Dann müssen Sie sich halt weiter nach hinten setzen.“), ohne auch nur einmal nach meinen Beschwerden zu fragen. Ich sollte in zwei Jahren wieder kommen oder wenn ich nicht mehr zurecht käme. Letzteres hatte ich seit der Terminvereinbarung der jeweiligen MFA bei jedem Untersuchungsschritt geantwortet, wenn ich sagen sollte, was mein Anliegen wäre. Dann von einer Ärztin so behandelt zu werden, war ein Scheißgefühl.
Auf Twitter erhielt ich folglich behutsame, aber deutliche Hinweise, dass das nicht gut gelaufen wäre und ich noch einmal woanders gucken sollte. Mein journalistischer Kollege empfahl mir daraufhin eine Akustikerin. Mit ihr verstand ich mich auf Anhieb und auch das Ergebnis wurde klarer: Leichte bis mittlere Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr mit Einbußen bis zu 50 %, insbesondere bei Geräuschkulisse. Ein gekipptes Fenster zur Straße reicht, dass auch ohne Synapsen statt Wörtern nur Rauschen bei mir ankommt.
Fühlte ich mich anfangs trotzdem wie eine Simulantin, verschwand dieses Gefühl schnell. Die Akustikerin nahm sich viel Zeit und ich war verblüfft, welche Ergebnisse sie zu Tage förderte. Zum ersten Mal (ich habe die CD noch nicht so lange) hörte ich, dass am Ende dieses Liedes Vögel zwitscherten.
Trotzdem war ich mit dem Hörgerät nicht zufrieden. Als unsichtbares Gerät saß es fest wie ein Korken in meinem Gehörgang und Verbindungen zu iPad oder iPhone funktionierten damit auch nicht. Also neuer Versuch mit einem schwarzen Knopf im Ohr. Der sitzt bequem und lässt sich wie gewünscht per Bluetooth koppeln. Verschiedene Einstellungen und unterschiedliche Hörprogramme via App sind möglich. Die verfügt außerdem über einige zusätzliche Gimmicks, die imho noch nicht ganz ausgegoren sind (z. B. Aktivitätsringe, eine kleine Alexa). Ich verstehe sie darum als camouflierte Datensammelanlage für weitere Entwicklungen. Aber schon jetzt entspricht dieses Hörgerät meinem nerdigen Lebensgefühl und gut hören kann ich damit ebenfalls. Erst die Kombination aus beidem ergibt, dass man es wirklich trägt.

Ende Februar wird das Hörgerät noch einmal nachjustiert, das vierte Mal bisher. Die Anpassung zurück an normales Hören geschieht schrittweise, um das Ohr nicht zu überfordern und weil das Gehirn das Hören erst wieder einüben muss. So spielt mir die Akustikerin am Ende jedes Termins stereo etwas von Loriot vor. Der müsste eigentlich aus der Mitte zu mir sprechen, sitzt aber für mich immer noch rechts. Links trage ich das Hörgerät.
Erst seit einigen Tagen ist es zu Hause so, dass die Musik langsam wieder auf beiden Seiten ankommt, was sich anfühlt, als würde sie in meinem Kopf hin- und herschwirren. Oder ich bin in der Birne hohl, das wäre auch noch eine Möglichkeit.
Ich könnte den HNO danach fragen, der im selben Gebäude wie die Akustikerin sitzt. Bei ihm habe ich Ende Februar ebenfalls einen Termin. Die Verordnung des Hörgeräts erfolgt also erst am Ende des Auswahl- und Eingewöhnungsprozesses und bezahlen oder mieten muss man die Geräte vorher auch nicht.
Die Testergebnisse der Akustikerin soll ich zum Arzt mitnehmen. Für sie ist völlig klar, dass der Termin problemlos über die Bühne geht. Ich bin trotzdem besorgt. Das Hörgerät könnte ich mir ohne Rezept zwar leisten, doch ich fürchte mich vor einer weiteren schlechten Erfahrung.
Das Weihnachtsfest verlief ausgesprochen entspannt. Ich feierte es wie üblich nicht, sondern versah meinen Dienst (zum ersten Mal mit Hörgerät) und erfreute mich allein zu Hause an verschiedenen Ritualen, wie sie meinem Rhythmus entsprachen, statt mir von irgendwoher aufgezwungen worden zu sein.
Das fing beim Essen an: Ich esse Heiligabend traditionell bereits am späten Nachmittag ein weihnachtsübliches Tellergericht ohne Nachspeise. Das passt mit allen denkbaren Gottesdienstzeiten am besten zusammen. Außerdem ist mir abendliches Essen mit mehreren Gängen ein Gräuel; ich vertrage es auch nicht gut. Dieses Mal gab es Roulade mit karamellisiertem Rosenkohl und Klößen.
Sobald die Gottesdienste über die Feiertage geschafft sind, hat sich Brotsalat mit Rohkost und viel Knoblauch als Tradition herausgemendelt. Als warmes Gericht an den Feiertagen gibt es üblicherweise Rouladen (nur dieses Mal hatte ich bereits an Heiligabend damit angefangen), erst mit Klößen, dann mit Pommes; manchmal noch weitere Salate oder ein schnelles Süppchen.
Gänsekeulen für die Familie briet ich dieses Mal nicht, statt dessen steht bald wieder ein Telefonat mit Herrn ExTuss an. Das gehört immer noch nicht hierher und dabei bleibt es künftig ohne weitere Erwähnung.
Wobei ich unabhängig davon länger an Herrn ExTuss dachte, als Meat Loaf starb. Wir hatten ihn 1995 live in Dortmund gesehen, wo er neben einer Stehlampe und ein bisschen Bühnendeko drei Stunden saubersten Rock ohne jeden Firlefanz brachte. Meat Loaf gehört zu den liebsten und wichtigsten Sängern meines Lebens und Liebens. Als sein Tod letzte Woche bekannt wurde, habe ich den ganzen Tag geheult.
Doch zurück zu den Weihnachtstraditionen. Für mich ungewöhnlich gucke ich an Weihnachten ausgesprochen viel Fernsehen: Den kleinen Lord kurz vorher, Sissi, Traumschiff und meist noch irgendwelche Schinken. Dieses Jahr war ich dessen ziemlich überdrüssig, konnte aber trotzdem nicht davon lassen. So saß ich meistens mit dem Rücken zum Fernseher, las theologische Lexikonartikel und drehte mich und am Lautstärkeregler nur bei meinen Lieblingsfilmszenen. Vielleicht sollte ich nächstes Weihnachten bei einigen Filmen aussetzen oder etwas Anderes gucken.
Die Twomplet, das ökumenische Abendgebet auf Twitter, habe ich an Heiligabend und Silvester auch dieses Mal vorgebetet. Das mache ich ehrenamtlich, denn die Twomplet ist ein freies Projekt, das keiner Institution angehört. Da ich nicht feiere und alleine zu Hause bin, habe ich dafür Zeit.
Silvester hatte ich zudem Gottesdienst. Mehr unternehme ich am Altjahrsabend nicht, weil ich dieses Fest überhaupt nicht leiden kann. Ich kochte dafür nicht einmal etwas, sondern wärmte einen Rest Nudeln vom Vortag auf. Einzig Ekel Alfred schaue ich mir jedesmal an. Das täte ich allerdings auch, wenn die Folge einem anderen Feiertag zugewiesen würde. Dinner for One hingegen erschließt sich mir bis heute nicht. Das änderte sich selbst damals nicht, als ich (längst verheiratet) endlich die Schlusspointe begriffen hatte, was Herrn ExTuss, der diesem Erkenntnisprozess beiwohnte, ausgesprochen erheiterte.
Kaum lag der Jahreswechsel hinter mir, hatte es mit der Ruhe jedoch ein Ende. Der Januar war heftig und einfach zu viel: Ich hatte nach Weihnachten und Silvester noch zweimal Gottesdienst, dazu kam die Beerdigungswelle, die ich normalerweise im hohen Advent erwarte. Anschließend hatte ich die Urlaubsvertretung für meinen Kollegen. Das war für eine halbe Stelle deutlich zu viel, zumal wir im Referat für Kommunikation und Fundraising einiges für den Januar angestoßen hatten. Dort arbeiten wir uns gerade in verschiedene Tools ein; davon unabhängig gewinnt mein Aufgabenbereich zuehmend an Kontur. Beides ist gleichermaßen erfreulich, war alles in allem aber trotzdem zu viel Input.
Ich hatte mir vor zwei Jahren im Kloster zurechtgelegt, was im Fall von „zu viel“ zu tun wäre. Doch erst Mitte Januar, als ich schon mittendrin war, fiel es mir wieder ein und eine Vollbremsung wollte ich nicht machen. Statt dessen werde ich jetzt im Urlaub noch einmal in mich gehen. „Weniger ist mehr“ steht jedenfalls in allen Arbeitsbereichen als erstes auf meiner Liste, wenn es im Februar wieder weitergeht.
Weil das Alles noch nicht genug war, habe ich seit Advent zum ersten Mal einen Tennisarm. Ich nehme an, dass ich mir die Grundlage dafür bei einer Fortbildung im November geholt habe. Ich bin immer zu unsportlich gewesen, als dass es sich gelohnt hätte, mich vor dem Sport nennenswert aufzuwärmen. Jetzt bin ich zu alt, um es nicht zu tun und habe mittlerweile auch Sportarten gefunden, die mir liegen und darum angemessenes Training sinnvoll machen.
Dafür war beim Zahnfee alles in Ordnung. Nach allem, was in den letzten Jahren los war, bin ich nach vier Jahren endlich wieder zu Prophylaxe und Kontrolle gewesen. Wir freuten uns beide über das Wiedersehen; meine Zähne waren in Ordnung und gut gepflegt. So viel positive Vibrations bin ich beim Zahnarzt gar nicht gewohnt. So lange ich kann, würde ich aber ohnehin in keine andere Praxis gehen, selbst von Ostwestfalen aus nicht.