Als wir uns kennenlernten, war sofort klar, dass mit ihm nicht zu spaßen sein würde. Aufgeschossen, dürr, die vielfachen Arme nach oben gestreckt, stand er an der hintersten Ecke des Pfarrhauses, jeden zur Halsstarrigkeit verdammend, der seine Krone betrachten wollte.
Mit der Apfelmamsell im Pfarrgarten hatte er nichts zu schaffen. Diese unterhielt ein Tête-à-Tête mit einem Jelängerjelieber, der soviel kleiner war als sie, dass sie ihn unter ihre Achsel klemmte, während er vor Wollust duftete wie ein Pfingstochse.
Ob der junge Stutzer auf der gegenüberliegenden Seite ein Abkömmling dieser Liaison war, wusste man nicht und der Knabe selbst war noch nicht reif genug, seine Herkunft durch Blüten oder Früchte auszuweisen.
Dass noch eine vierte im Gebüsch wartete, sah ich erst viel später, als sie sich aus dem Gestrüpp hinter dem Hochbeet mit kleinen, kanonenfesten Kugeln hervortat, deren tiefes, fast violettes Herbstrot ihr die Erscheinung eines Kräuterweibes gab. Die Blütezeit der Apfelbäume hatte ich versäumt. Zu der Zeit wohnte ich noch an der Ruhr und versuchte, mein Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sortieren und in Umzugskisten zu verpacken.
Als ich zwei Wochen vor Johanni endlich am Pfarrhaus eintraf, wuchsen allen außer dem Knaben bereits pflaumengroße Früchte, wobei das Kräuterweib die Ihren so gut zu verbergen wusste, dass ich sie erst nach einigen Wochen entdeckte.
Das wäre der Apfelmamsell nie eingefallen. Stolz präsentierte sie ihre Zöglinge, die sich im Spätsommer zu drallen, duftenden Äpfeln aufplusterten, was mir nach einigem Zuschauen durchaus Respekt abnötigte.
Zur selben Zeit lehrte mich das Kräuterweib auf die Ernte zu achten. Leicht sollten die Äpfel zu pflücken sein, braun die Kerne im glänzenden Fleisch. Manche mussten noch eingekellert werden bis zum richtigen Geschmack.
Mit der Verzögerung der Ungeübten traf ich den Zeitpunkt einigermaßen. Ich erkannte, wann die Früchte der Mamsell süß und gefällig und die des Kräuterweibes bereit für das Lager waren. Nur dem Hagestolz an der Ecke konnte ich nicht beikommen.
Trotzig warf er seine Äpfel fort, die ich einsammelte und auf Zeichen der Reife untersuchte. Noch blass und durchscheinend waren die Kerne, stumpf wurden von der Säure die Zähne. Was oben an den ausgestreckten Armen blieb, war von Augen übersät. Der Baum machte seinem Platz am Pfarrhaus alle Ehre: Alles wollte er sehen, nichts sollte ihm entgehen. Auf der Straße nicht, an der Haustür nicht, im Pfarrgarten nicht, bei den Nachbarn nicht. Überall hatte er seine Augen.
Ich bemühte mich, hielt Zwiesprache,
erzählte von Luther und seinem Apfelbäumchen, doch der Baum gab vor, mich nicht zu verstehen. Höhnisch warf er mit seinen Launen um sich. Derweil röteten sich in den Zweigen die Wangen, wo sich Apfelschwestern aneinander klammerten. Ich griff zum Kescher, um sie zu holen. Doch der Baum gab sie nicht her. Pausbäckig grinsten mich die Früchte aus tausend Augen an. Ich stocherte in den Zweigen, riss Äpfel samt Blattwerk ab, sie behielten mein Leinensäckchen und gaben mir den Stab kopflos zurück.
Ich fluchte, ich zweifelte. Ich drosch auf die Äste ein, der Apfelbaum schlug mit herunterstürzenden Granaten zurück. Zwei Garben hatte ich schließlich zusammen: Einen Eimer voll Ernte und das, was schon vorher madig auf dem Rasen faulte. Ich wischte mir die Stirn, sah hinauf zu dem Baum, durch dessen Zweige mich die Mittagssonne blendete. Schweigend stellte ich meine Fragen, er gab verbissene Antworten. Dabei sträubte sich seine Krone, die noch genügend Proviant für weitere Runden trug. Ich nahm meine Beute und ging ins Haus.