Hinauf

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem,
und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten
von dem Menschensohn.

Lk 18,31

Nach Jerusalem geht es immer aufwärts. „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem“, so fängt der Wochenspruch an und so steht es in der ganzen Bibel. Nach Jerusalem geht es immer hinauf, nach oben. Und wie meist in der Bibel hat das nicht nur geschichtliche oder geographische, sondern auch geistliche Gründe. Jerusalem steht oft für den Höhepunkt und das Zentrum einer Geschichte oder eines Ereignisses und das himmlische Jerusalem, das wir dereinst erwarten, sowieso.

Aber der Weg dahin ist dieses Mal das Interessante. Denn am Mittwoch beginnt die Passionszeit, die Leidenszeit Jesu, die zum Kreuz und schließlich zur Auferstehung führt. 

Sie wird auch Fastenzeit genannt, weil viele Christ:innen die Wochen von Aschermittwoch bis Ostern nutzen, um auf etwas zu verzichten. Manche trinken keinen Alkohol oder essen keine Schokolade, andere gucken kein Fernsehen und wieder andere drehen den Spieß um: Sie verzichten auf nichts, sondern nehmen sich etwas Besonderes vor, z.B. jeden Tag eine Viertelstunde Sport zu treiben oder in der Bibel zu lesen, vielleicht sogar beides.

Die Idee dahinter lautet, dass man eine Zeitlang von seinen Gewohnheiten abweicht, um sich Gedanken zu machen oder etwas in seinem Leben zu verändern. Ein kleiner Weg zu einem kleinen Ziel, damit es aufwärts geht, was immer auch anstrengend ist: „Seht, wir gehen hinauf…“

Aber wem soll es oben angekommen denn schließlich besser gehen? Das kann man beim Propheten Jesaja (Jes 58,1-9a) nachlesen. Der mokiert sich nämlich über Leute, die mit großer Geste und noch größerer Leidensmiene fasten, ohne ihre Nächsten auch nur eines Blickes zu würdigen. Die dürfen trotzdem hungern oder obdachlos oder unterdrückt sein, während sich die feinen Leute ein Stückchen Kuchen absparen und ansonsten weitermachen wie bisher. Und dann wundern sie sich, dass ihnen das Fasten nichts bringt.

Dabei ist das eigentlich nicht erstaunlich. Ich kann nicht morgens ein bisschen Gymnastik und abends einen Obstteller machen und mich darüber hinaus für nichts zuständig fühlen. Das funktioniert nicht, denn die Liebe Gottes ist „ausgegossen in unsere Herzen“ (Röm 5,5). Ich kann nicht nur an mich selber denken und glauben, was draußen los ist, geht mich nichts an. So sind wir Menschen nicht angelegt, es widerspricht unserem Feingefühl und unserem Auftrag von Gott. 

Also das Eine tun und das Andere nicht lassen: Fasten und mich an bisschen am Riemen reißen. Niemand braucht meine Klagegesänge, weil ich abends ein paar Wochen keine Chipstüte aufmache, so wichtig bin ich nicht und der Kühlschrank ist trotzdem voll genug.

Vielleicht möchte ich mich darum einmal genauer informieren, wie es anderen geht, den Obdachlosen in der Stadt oder den Kindern in einem fernen Land? Auch eine kleine Spende kann etwas bewirken und wenn nicht jetzt, erinnere ich mich möglicherweise in ein paar Monaten daran, wenn ich zum Sommer die Kleidung aussortiere, um sie in die Sammlung zu geben, statt sie fortzuwerfen.

Aber auch für die, die mit Fasten nichts am Hut haben, gibt es etwas zu tun: Immer noch Corona, immer wieder Abstand halten, einen Bogen um die Nasenbären mit der Maske unterm Kinn machen und sich weiter Mühe geben. Das gilt zugegeben auch, wenn man doch bis Ostern auf etwas verzichtet, weil es im Kern um das selbe geht:

Wir leben nicht alleine auf dieser Welt. Jeder hat einen Berg vor sich, größer oder kleiner, den er hinaufsteigen muss. Niemand kann mit sich selbst im Reinen sein, wenn er es nicht auch mit den Anderen ist oder sich wenigstens darum bemüht. Sich darauf zu besinnen, ist unsere Pflicht und doch leichter gesagt als getan. Die Fastenzeit bietet an, es ein bisschen zu üben. Einigermaßen mit sich und der Welt im Einklang „wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte“, verspricht der Prophet Jesaja nämlich auch. Und das wäre doch ein guter Anfang, für was auch immer. 

Gott, du hast uns auf die Spur Jesu gesetzt, hin zu seinem Ziel in Jerusalem und erfreust uns mit der Aussicht auf Leben, das gut ist und gut tut. Voller Sehnsucht gehen wir mit hinauf und folgen deinem Sohn, der die Täler erhöht und die Berge erniedrigt, weil seine Liebe uns den Pfad geebnet und den Weg bereitet hat: Jesus, der Christus. Amen.

Es segne uns der lebendige Gott mit seinem Geist,
dass wir Mut finden,
uns allem entgegen zu stellen,
was das Leben von Menschen versklavt.
Er schenke uns tiefe Freude daran,
dass wir einander haben,
und erfülle uns mit Phantasie,
um das neue Leben aus Gottes Geist zu feiern. Amen.

Meditation für die hiesige Offene Kirche zum Mitnehmen;
Gebet und Segen von hier.