
Was Hörbücher betrifft, bin ich ziemlich speziell. Belletristik geht gar nicht, was ich bedaure. Denn mein Interesse an Schmökern hat in den letzten Jahren fast gänzlich abgenommen. Sie mir als Hörbuch anzuhören, wie früher als Kind eine Kassette, klappt aber ebenfalls nicht.
Wenn Hörbuch, dann Sachbuch, bestenfalls eine Biographie und nur zum Einschlafen. Am Wochenende bisweilen noch beim Aufwachen oder Rumgammeln, aber auf keinen Fall beim Kochen, statt Rundfunk oder beim Autofahren. Ich unterhalte mich beim Autofahren ohnehin nicht gern, egal ob als Fahrerin oder mit dabei. Folglich telefoniere ich auch im Auto nicht. Etwas Radio, eine CD mit Musik und zwischendrin mal ein lautgedrehtes Lied reichen völlig aus.
Hörbücher zum Einschlafen sind für mich also am besten. Dann funktioniert auch die Kinder-Kassetten-Methode: Ich muss das Buch mehrfach hören, bis ich genügend Einzelteile zusammenhabe, um sie zu einem inhaltlichen Ganzen zu sortieren. Erst dann wird das Buch langweilig. Wobei ich es als Kind nicht so empfunden habe, dass mir Teile der Handlung entgingen. Wohl erinnere ich mich daran, dass ich meiner Kassetten und Schallplatten trotz häufigen Hörens nicht überdrüssig wurde. Später, als Erwachsene, las ich irgendwo, dass das daran läge, dass Kinder beim Hören jedesmal ein neues Detail entdeckten, statt die Komplexität sofort oder nach wenigen Malen zu erfassen. Das passt zwar nicht mit meiner Erinnerung zusammen, aber mit meiner Einschlaferfahrung.
Die ersten beiden Hörbücher setzten sich mit Narzissmus auseinander. Ich bin gerade dabei, einige Erfahrungen mit Narzist:innen abzuhaken und nahm die Bücher als Schlusspunkt, so weit man solche Schlusspunkte setzen kann.
Als erstes hörte ich mir Pablo Hagemeyer an. Sein Buch ist kurzweilig und humorvoll. Man kann ihm gut folgen und verstehen, wie Narzissmus funktioniert.
Das Ganze hatte nur einen Haken: Der Autor möchte nicht nur für sein Buch, sondern auch als Narzisst nett gefunden werden. Schnell waren darum die Bezugspersonen des Narzissten mindestens nicht ganz unschuldig oder wenigstens Co-Narzissten. Nun, das mag es geben. Meine Lebenserfahrung hingegen sagt mir, dass die meisten Leute nur nicht auf die Idee gekommen sind, wie viel Niedertracht in diesen Menschen stecken kann. Narzissten sind XXXXXXtypen. All genders welcome and pardon my French. Im ersten Teil seines Buchtitels gibt Hagemeyer das sogar selbst zu.
Pablo Hagemeyer: Gestatten, ich bin ein Arschloch. Ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten, Eden Books.
Das zweite Hörbuch zum Thema Narzissmus verfasste Heinz-Peter Röhr, indem er das Märchen vom Eisenofen auslegte. Ich kann mit dieser eher jungianischen Methode viel anfangen. Narzissmus war dazu die Überschrift und eine wichtige Facette. Gleichzeitig hatte ich beim Zuhören das Gefühl, dass Röhr das Märchen aus seiner therapeutischen Gesamterfahrung beschrieb. Das bot gedanklich Platz für vieles, ohne mit Tunnelblick am Wohl und Wehe des Narzissten hängen zu bleiben. Bezogen auf Narzissmus war das zwar weniger exakt, mit Blick auf Heilung und Selbstwerdung dafür umfassend menschenfreundlich.
Heinz-Peter Röhr: Narzissmus. Dem inneren Gefängnis entfliehen, Patmos.
Von Svenja Flaßpöhler stammte das dritte Buch. Sie tauchte in den letzten Wochen immer mal wieder in den Medien auf, wo sie zum Impfen die falschen Sachen gesagt haben soll. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich die betreffenden Sendungen nicht gesehen habe. Ihr Buch hingegen mochte ich. Dort nahm sie sich des Begriffs der Sensibilität aus philosophischer Perspektive an. Das fand ich außerordentlich spannend. Tatsächlich ist zu diesem Thema in der Philosophiegeschichte einiges losgewesen.
Damit es trotzdem nicht zu dröge wurde und weil Flaßpöhler eben Flaßpöhler ist, spannte sie dazu einen Bogen zwischen den Pros und Contras der aktuellen Debatten und von der Sensibilität zur Resilienz. Ich mochte auch das.
Allerdings gehe ich immer davon aus, dass ich beim Hören oder Lesen eine gewisse Eigenleistung zu erbringen habe, die sich aus dem Spannungsfeld der argumentativen Pole das eigene Meinungsrezept anzumischen hat. Das scheint aber nicht mehr überall üblich zu sein.
Die Kritiken lasen sich entsprechend: Man sah sich zur Übernahme, eher Zurückweisung der Flaßpöhler’schen Positionen herausgefordert. Tertium datur. Und dass ich lieber Widerstandskraft statt Resilienz sage, außerdem.
Svenja Flaßpöhler: Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren, Klett-Cotta.
Schließlich hörte ich mir als viertes „Nicht mein Antirassismus“ von Canan Topçu an. Sie hat ihr Buch selbst vorgelesen, was ich wegen der biographischen Kapitel und Perspektiven sehr berührend fand. Ich meldete mich daher außerdem bei einem Webinar der Reihe „Lesen. Jetzt!“ der Friedrich-Naumann-Stiftung an, wo Christoph Giesa mit Canan Topçu über ihr Buch ins Gespräch kam.
Dort wie in ihrem Buch legte Topçu Wert auf ihre „Freiheit, auf das große Ganze zu gucken. Ich lasse mich nicht aufgrund meiner Migrationsbiographie auf eine Perspektive festlegen und möchte das auch nicht für andere.“ Gleichzeitig gelang es ihr, Rassismen und Verletzungen deutlich zu benennen, ohne sie umzudeuten oder um des lieben Friedens willen abzuschwächen. Dabei stellte Topçu bisweilen die Frage, ob schlechte Manieren oder unangebrachtes Verhalten jedesmal gleich Rassismus bedeuteten oder ob der ethische Blick nicht auf etwas Anderes gerichtet werden könnte. Dass man das „gleiche Ziel, auf anderen Wegen“ erreichen möchte, davon ging sie an vielen Stellen aus.
Dass sie in ihrem Buch Gabriele R. trotzdem nicht als eines der Opfer des Anschlags von Hanau benannte, irritierte mich daher, sodass ich Canan Topçu einen Leserinnenbrief schrieb. Diesen beantwortete sie schnell und freundlich. Das, wie überhaupt das ganze Buch, regten mich zum weiteren Nachdenken an und stimmten mich mit Blick auf die Debatte hoffnungsvoll wie lange nicht.
Canan Topçu: Nicht mein Antirassismus. Warum wir einander zuhören sollten, statt uns gegenseitig den Mund zu verbieten. Eine Ermutigung, Quadriga.