Mitte Juli waren Frau Juna und ich beim House of One zu einem Symposium eingeladen. Vertreter*innen aus Judentum, Christentum und Islam diskutierten dort über Social Media.
Da war ein Imam, der uns die Achtsekunden-Predigten seines amerikanischen Kollegen zeigte, mit denen dieser die Jugend auf Snapchat erreicht. Und der uns erzählte, wie Muslime Bilder von Mekka im Social Web posten. Mekka, das nur von Muslimen besucht werden darf, öffnet sich so der Welt, erklärte er. Ich bekam richtig Gänsehaut, überhaupt habe ich den Tag sehr genossen. Die offenen Gespräche, das ehrliche Interesse aneinander und am Thema. Dann war noch eine Kollegin dabei und wir lernten eine Muslima kennen, die bei den Denkerinnen mitschreibt.
Noch Tage später war ich beflügelt und voller guter Gedanken. Einer davon lautet, wie wichtig es ist, dass sich ein islamisches Bürgertum entwickelt, das sich erkennbar einbringt. Ein weiterer ist die klassische Binsenweisheit, dass es vieles gibt, das uns verbindet: So ein interreligiöser Weiberzirkel (heute sagt man wohl eher Mädelsclub), der sich in der Mittagspause unterhält, das ist schon großartig.
Doch zwei Tage später geschah Nizza, dann der Putsch in der Türkei und dann und dann und dann. Direkt in mein immer noch geöffnetes Herz. Die Predigt, die ich vor zwei Wochen zu schreiben hatte, floss mir nur handschriftlich und mit vielen Tränen aus der Feder.
Vor einer Woche habe ich dann erstmal Pause vom Internet gemacht und das buchstäblich „Hitzefrei“ genannt. Runterkühlen, das Tempo drosseln. Doch morgen ist Israelsonntag, wieder habe ich zu predigen. Bei Chajm fand ich einen Artikel von Rabbiner Jonathan Sacks, in dem er sagt, dass der Hass immer mit den Juden beginne und niemals mit ihnen ende, sondern dass es weitergehe und auch andere treffe. Der Beitrag stammt aus dem letzten Jahr und wird für mich immer wahrer.
Als die Schießerei in München geschah, fingen einige Leute auf Twitter an, bewusst gute Nachrichten zu posten, um dem Schrecken und der aufgeheizten Atmosphäre etwas entgegenzusetzen. Ich glaube, ich konnte bei der #twomplet mit dem Abendgebet und einer zusätzlichen Friedensbitte ein wenig dazu beitragen.
Und genau da möchte ich am Israelsonntag wieder anknüpfen. Die diesjährige Predigthilfe der Aktion Sühnezeichen empfiehlt als Predigttext Sacharja 8,20-23 aus der Perikopenrevision. Die Völker pilgern nach Jerusalem, um zusammen mit den Juden „das Angesicht Gottes zu besänftigen“, also bei Gott nach Frieden zu suchen. Das gilt für die Völker und für jeden einzelnen: „Ja, auch ich will gehen.“
Die Gottebenbildlichkeit aller Menschen, an die Juden, Christen und Muslime gleichermaßen glauben, verdanken wir dem ersten Kapitel der Bibel (Gen 1,26), Jonathan Sacks weist in seinem Artikel darauf hin. Das Schöne unserer Religionen beginnt eben auch mit den Juden, sie sind mehr als der Seismograph des Schreckens. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns diesem Guten wieder zuwenden; dafür ist eine Wallfahrt gemacht, ob nach Mekka oder wie bei Sacharja nach Jerusalem: Dass man sich vom bisher Erlebten abkehrt und in eine andere Richtung geht bzw. blickt, um eine neue Perspektive zu gewinnen oder wie Luther übersetzt, um „Gott zu suchen“. Das ist ja auch mit der Arbeit des House of One oder den guten Nachrichten auf Twitter gemeint. Der Schrecken soll nicht die Oberhand gewinnen. So in etwa überlege ich mir das gerade.