Bücher, was mit Dylan und bisschen mitdenken

Bereits im Oktober fremdhatte ich „Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten“ von Arlie Russell Hochschild in der Übersetzung von Ulrike Bischoff gelesen. Hochschild ist Soziologin, bezeichnet sich selbst als linksliberal, und hat sich aufgemacht, die amerikanische Rechte kennenzulernen, also die Landeier, Trumpwähler, Tea-Party-Anhänger. Kennenlernen heißt: Mit den Leuten reden, zuhören, versuchen zu verstehen, statt zu verurteilen. Was dabei herauskam, hat Hochschild in diesem Buch aufgeschrieben.

Wichtig für die politische Prägung sind demnach Lebensgeschichten, Gefühle und das Umfeld. Das war zu erwarten, allerdings hatte ich nicht mit derartig krassen Widersprüchen gerechnet. Wie in dem Film Erin Brokovich leben die Leute, mit denen die Autorin sprach, in durch die Industrie völlig vergifteten Gegenden, finden aber auf verquere Weise, das müsste so sein. Und auch wenn Hochschild zu recht anmerkt, „offenbar gibt es mittlerweile globale Versionen“ dieser politischen Haltung, merke ich doch, wie fremd mir diese Extreme sowohl in der staatlichen als auch der persönlichen Politik sind, das ist in Deutschland schon sehr anders.

Zusammen mit dem Buch von Boris Palmer war mir Hochschild dennoch eine Hilfe, um meine eigene politische Verortung zu überprüfen. Gespräche mit „ganz normalen“ Leuten aus der Gemeinde und die Erfahrungen in Bezirken mit Flüchtlingsheimen und migrantischen Wohnsiedlungen an meiner früheren Stelle, wo die Kollegen regelmäßig zu den Quartiersgesprächen ihre Bezirkes dazugebeten wurden, kamen hinzu. Deswegen bin ich auch immer sehr verblüfft, wenn ich von Kolleg_innen höre, die nicht wüssten, wie man „besorgte Bürger“ kennenlernen könnte. Vielleicht muss man gar nicht so weit gehen, sondern sich einfach nur die Sorgen der Normalos anhören oder mal einen Besuch bei den Pfarrkollegen machen, die in einem bunt gemischten Gemeindebezirk arbeiten. Boris Palmer hat das nicht anders gemacht. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, wenn dann herauskommt, dass man es so genau eigentlich gar nicht wissen will.

trauer.jpgDas nächste Buch, das ich vorstellen möchte, heißt „Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive“. Geschrieben hat es Francis Seeck, Stipendiatix der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und es ist auch ein richtig links-queeres Buch, so wie ich das kenne: Klassen- und Systemkritik, Reflexion der eigenen Methodik, Herrschaftskritik – alles drin.

Und es ist ein kluges Buch geworden! Seeck beschäftigt sich mit Sozialbestattungen, die man früher Armenbegräbnis nannte, und mit ordnungsbehördlichen Bestattungen, dann sind oft nicht mal Angehörige oder Freunde dabei, geschweige denn informiert worden.
Das Buch bezieht sich auf eine Studie, die Seeck 2015 durchführte, und die Erfahrungen mit dem Tod des eigenen Vaters. Es zeigt, wie sich Machtverhältnisse und soziale Ausgrenzung auch nach dem Tod eines Menschen abbilden.
Nun weiß ich als Pfarrerin über die meisten Zusammenhänge Bescheid, aber dass das Ordnungsamt vor (!) einer Beerdigung noch nicht einmal nachsieht, ob es in der Wohnung ein Testament oder wenigstens ein paar Telefonnummern von Freunden gibt, war selbst mir neu.

Zudem hat mir Seecks Vorschlag, mehr auf kollektive Begräbnismodelle zuzugehen, gut gefallen. Ob man wirklich immer nur „das System“, statt die Einzelnen verantwortlich machen kann, bezweifle ich. Trotzdem trifft die Systemkritik die richtigen Stellen, mögen die Lösungsvorschläge auch unterschiedlich sein. Nicht zuletzt bin ich wirklich, wirklich dankbar, dass dieses Thema einmal aus einer anderen Richtung als der der Kirchen, Sozial- oder Wohlfahrtsverbände angesprochen wird. Und da das Buch außerdem gut ohne einschlägige Vorbildung zu lesen ist, empfehle ich es sehr.

Ob Hochschild, Palmer oder Seeck, es scheint folglich so zu sein, dass Lesen tatsächlich bildet, vor allem wenn man sich nicht davor verschließt, dass die Autor_in eine andere politische Meinung als man selber hat und ich darf aus Erfahrung berichten, die färbt auch nicht sofort ab. Machen wir also beruhigt mit Bob Dylan weiter:

Bei dem ist es jacd.jpg gleichermaßen gewinnbringend, sich mit seinen Werken und mit den daraus entstandenen Coverversionen zu beschäftigen. Mir in die Hände gefallen ist jetzt eine CD der Old Crow Medicine Show, die anlässlich des 50-jährigen Erscheinungsjubiläums von „Blonde on Blonde“ gleich das ganze Album coverte. Dabei hat die Band einen deutlich bluegrassigen Sound, aber ohne dass der allzu nervig oder fiddelig wäre. Die Interpretation von „Just like a woman“, ohnehin eines meiner Lieblingslieder, ist großartig:

Die Bilder zeigen die besprochenen Werke, jeweils mit dem #NeoKater.