Belletristik ist bei mir im Augenblick nicht so dran, das macht aber nichts, ich fühle mich trotzdem bestens unterhalten, horizonterweitert, beglückt; wofür man Lesen eben so braucht. Einiges ist noch in der Mache, außerdem soll der Post nicht zu lang werden, darum in zwei Etappen, hier der erste Schwung:
„52 Runden. 52 Interviews.“ Von Stefan Ludwig ist das erste Buch, über das ich berichten möchte. Stefan (ich kenne ihn bald 15 Jahre) ist sicher einer der optimistischsten und freundlichsten Menschen, die es gibt. Er ist in der Kulturszene und im Eventmanagement zu Hause wie nur wenige und dort zwei Mal mit eigenen Projekten pleite gegangen. Das ist so krass, dass er selbst fand, er könnte mit 38 Jahren eigentlich seine Biographie schreiben. Doch das journalistische Handwerk liegt ihm mehr. Also machte Stefan es anders und lud sich über das Jahr 52 InterviewpartnerInnen ein, die mit ihm um den Dortmunder Phoenixsee gingen und sich dabei unterhielten: Ein Taxifahrer, eine tierschutzaktive Buchhalterin oder ein Beamter bis hin zu so illustren Leuten wie Lioba Albus, Fritz Eckenga und Sascha Grammel.
52Runden – Januar 2016 from Stefan Ludwig on Vimeo.
Der Clou ist außerdem, dass nicht nur Stefan seinen Interviewpartnern Fragen stellte, sondern sie ihn ebenfalls fragen durften. So entstanden nicht nur richtige Gespräche, sondern man erfährt oft mehr über jemanden, wenn er selbst anfängt zu fragen, als wenn er nur antworten muss. Stefan sagt, er macht mit den Interviews und den Spaziergängen weiter. Dann geht vielleicht auch beim Lektorat noch etwas mehr. Bis dahin freue ich mich über dieses großartige Buch, so liebenswürdig wie sein Autor, witzig, tiefsinnig und mit einer Menge Dortmunder Lokalkolorit.
Stefan Ludwig: 52 Runden. 52 Interviews, Dortmund 2016
Das nächste Buch ist eine harte Nuss gewesen, die zu knacken sich allerdings gelohnt hat. Luciano Floridi: „Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert“, aus dem Englischen übersetzt von Axel Walter.
Floridi beschreibt, wie das mit dem Internet aktuell läuft und vermutlich weitergeht – Social Media, Internet of Things, Big Data, die ganze Palette. Das Besondere dabei ist, dass Floridi als Philosophieprofessor arbeitet. Er beschreibt die Welt samt Internet folglich auf philosophische, ideengeschichtliche und historische Weise. Das ist für mich als Theologin günstig, denn das kenne ich, obwohl es zuerst ungewohnt war, dass ein Philosoph über programmierbare Rasenmäher und Cyberkrieg reden möchte und nicht über Schuld, Gott oder Ideen an sich.
Zweierlei hat mich an diesem Buch besonders beeindruckt: So überträgt Floridi immer wieder und in unterschiedlichen Varianten die Gedankengänge der alten Philosophen wie Plato, Hegel oder Hobbes ins Internetzeitalter oder wie er selbst sagen würde, in die „Infosphäre“. Und dann macht er es noch so, dass er nicht nur Räume eröffnet und aufzeigt (die eben genannte „Infosphäre“ wäre so einer), sondern Floridi scheint grundsätzlich ein Mensch räumlichen Denkens zu sein. Da werden horizontale und vertikale Überlegungen angestellt, Grenzen vor- und zurückgeschoben, virtuelle und reale Bereiche angeschaut. Das weicht von meiner Denk- und Sichtweise dermaßen ab, dass es allein deswegen schon spannend war, sich auf seine Perspektive einzulassen.
Insgesamt ist „Die 4. Revolution“ keine leichte Kost. Ich habe sie ganz klassisch durchgearbeitet mit Bleistift plus Textmarker und das sehr genossen.
Luciano Floridi: Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert, Berlin 2015
Im dritten Buch geht es um Rezepte und Mahlzeiten, die Martin Luther und Philipp Melanchthon zu ihrer Zeit so gegessen haben könnten. Der Autor Leo Vogt kocht seit 25 Jahren auf Mittelaltermärkten, vor allem beim Peter-und-Paul-Fest der Stadt Bretten, nordöstlich von Karlsruhe, und weiß darum Bescheid.
In seinem Buch folgen Rezepte, Geschichten, Fotos und alte Stiche aufeinander, was für sich schon fein anzusehen ist. Das hat mir nicht nur als Pfarrerin und häusliche Köchin Freude bereitet. Es eignet sich auch prima als Weihnachtsgeschenk für Familie und Freunde und in der Frauenhilfe kann man daraus einen Themennachmittag machen.
Überhaupt habe ich überlegt, wie viele „moderne“ Veranstaltungen in der evangelischen Kirche mittlerweile angeboten werden. Aber wer hat eigentlich einmal an so etwas gedacht? Wobei ich nicht nur das Nachkochen der Rezepte meine. Sondern dass es ein schönes Buch gibt, das Leuten die Reformationszeit auf eher gediegene Weise nahe bringt. Nicht spießig, nicht cool, sondern die Mitte. So wie dieses Buch. Schon deswegen hat es mir gefallen. Davon hätte ich gerne mehr.
Leo Vogt: Das Luther Melanchthon Kochbuch. Kochen & Backen zu Zeiten der Reformation, Wittenberg 2015
Ein Kommentar zu „Bücher 1/2 mit Stefan, Floridi und Luthers Essen“
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