Heute ist der Taufsonntag, in der Themenreihe des Kirchenjahres der Sonntag, an dem wir durch Lesungen und Lieder eingeladen sind, über die Taufe nachzudenken. Das nehme ich als Anlass, mit meiner Blogreihe über Amtshandlungen weiterzumachen, diesesmal mit der Taufe.
Ich fange direkt mit der wildesten Andekdote an, gar nicht mal so selten. Es ist der Großvater oder Onkel, der zu Beginn von der Pfarrerin gehört hat, dass im Gottesdienst nicht fotografiert werden soll. Also steht er kurz vor der Taufe auf und wendet sich an den Küster oder einen Presbyter, damit der mich einnordet, auf dass er seine Fotos machen kann. Ich nutze dann meist die nächste Liedstrophe, um ihm zu erklären, dass der Talar auch bedeutet, dass ich das Sagen habe und nicht die genannten Herren. Jedesmal wieder kann er es nicht fassen.
Überhaupt ist es so, dass die tradierte Rollenaufteilung, die das Brautpaar im Traugespräch noch mit einem Schulterzucken abgetan hat (meine Beobachtungen dazu hatte ich hier aufgeschrieben), zur Taufe komplett umgesetzt ist.
Nannte der Bräutigam und spätere Vater bei der Hochzeit noch eigene Ideen, ist er bei der Planung der Taufe bereits komplett außen vor. Taufsprüche, Lieder, Gäste, Wünsche, er weiß es nicht, das macht alles seine Frau, wenn er überhaupt beim Gespräch dabei ist.
Das geht so weit, dass sich die Mutter zum Taufgespräch auch dann alleine mit mir trifft, wenn sie aus der Kirche ausgetreten oder gar keine Protestantin ist. Dass mindestens ein Elternteil evangelisch ist, ist allerdings Pflicht und die Paten müssen in einer der üblichen christlichen Kirchen sein, wobei eine Taufe ohne Paten mittlerweile auch möglich ist.
In meinen ersten Amtsjahren habe ich Taufgespräche meistens am Nachmittag geführt. In der Regel bemühten sich die Väter dann, pünktlich Feierabend zu machen, um da zu sein. Aber entweder trugen sie nichts bei oder sie verteidigten das Revier; liefen im Wohnzimmer auf und ab wie ein Tiger im Käfig und beschimpften mich wegen der Kirchensteuer.
Ich bin darum seit einigen Jahren dazu übergegangen, zuerst Vormittagstermine anzubieten. Für die Frauen ist das fast immer in Ordnung und wenn nicht, komme ich ihnen sofort entgegen.
Natürlich habe ich auch Väter kennengelernt, die über die Belange ihrer Kinder Bescheid wussten oder wenigstens freundlich waren. Ich berichte von meinen persönlichen Erfahrungen, die nicht statistisch aufbereitet sind. Den Anruf für den Termin macht allerdings immer die Frau, in seltenen Fällen die Großmutter, nie ein Mann, da lege ich mich fest.
Im Grunde genommen ist die Taufe von allen Amtshandlungen die entspannteste. Sie ist vergleichbar die kleinste Feier und immer ein fröhliches Ereignis. Denn selbst wenn die Geburt schwer war, meldet die Mutter die Taufe erst an, wenn das Gröbste hinter ihr liegt. Das Besondere an der Kinder- oder Neugeborenentaufe ist auch, dass sie das einzige Begrüßungsritual ist, das wir für neugeborene Kinder haben. Ich kenne zumindest kein weiteres, das für alle Geschlechter gleichermaßen gilt und keine weltliche Alternative.
Das ist mir auch aufgefallen, als vor einigen Jahren die Diskussion um die Früherkennung von familiären Schwierigkeiten aufkam, verbunden mit der Frage, ob ein Jugendamtsbesuch nach der Geburt verpflichtend werden sollte. Bei Taufgesprächen komme ich mit großer Selbstverständlichkeit in die Familien und kann aus meiner Erfahrung als Mutter, mittlerweile auch Großmutter, hier und da ganz ohne Bürokratie einen Rat oder aus der Diakoniekasse eine finanzielle Unterstützung geben. Auch das geht verloren, wenn Kinder nicht mehr getauft werden. Wobei sich Tauffeste in den letzten Jahren als gute Gelegenheit gezeigt haben, Alleinerziehende oder Familien ohne Bilderbuchidylle zur Taufe zu ermutigen.
Meistens verläuft das Taufgespräch ziemlich locker, die Mutter hat bereits im Vorfeld einen Taufspruch ausgesucht oder wir machen es gemeinsam. Ich schlage dafür immer taufspruch.de vor, was nahezu Spielecharakter hat und großen Spaß macht, vor allem wenn Geschwisterkinder mitaussuchen.
Auch im Gottesdienst binde ich die Geschwister gerne ein. Sie können das Wasser eingießen und die Taufkerze anzünden, die sich mittlerweile bei fast allen Taufen durchgesetzt hat, sogar bei den Reformierten. Die Leute kennen diese feinen konfessionellen Unterscheidungen nicht mehr. Auch dass Männer und Jungen ihre Kopfbedeckung in der Kirche abnehmen und dass man das Glaubensbekenntnis auswendig mitsprechen kann, geht als Basiswissen zunehmend verloren. Ein wichtiger Augenblick im Taufgespräch (wie bei jeder Amtshandlung) ist daher, wenn ich versichere, dass ich jeden Handlungsschritt ansage, sodass die Familien immer genau wissen, was sie machen müssen. Das gilt auch für die Absprache über die Fotos nach dem Gottesdienst, „dann haben Sie die Kirche für sich“. Denn weil sie auch die Aufnahme des Täuflings in die Gemeinde bedeutet, gehört die Taufe in einen regulären Gottesdienst, dessen Besucher ebenfalls Bedürfnisse und Wünsche haben.
Die „Winkelmessen“ aus früheren Zeiten, in denen man sich mit der Kernfamilie für eine halbe Stunde zur Taufe traf, sind heute ohne Not nicht mehr üblich. Ein Lied aussuchen darf man aber, wenn man möchte, immer noch. Ich persönlich nehme gerne „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“, weil das wirklich alle mitsingen können, darin die Überschrift und der Vers „Weißt du wieviel Kinder frühe, stehn aus ihrem Bettlein auf“. Auch können die Paten gerne ein Gebet sprechen oder einen Text verlesen, das hat sich ebenfalls nicht geändert. Müssen muss man beides nicht.
Russlanddeutschen Familien bringen oft eine Halskette mit Kruzifix für das Kind mit, die ich während der Taufe segnen soll und die Väter sind ganz anders als oben beschrieben engagierter bei der Vorbereitung dabei. Oft kommt eine der Großmütter zum Taufgespräch dazu und hütet den Täufling, damit die Mutter oder die Eltern in Ruhe mit mir sprechen können.
Bisweilen werde ich von diesen Großmüttern noch mit Ihr und Euch angeredet. Da es die deutschstämmigen Christen in Russland häufig schwer hatten, waren diese Frauen meist das Stammbuch der ganzen Familie. Sie hatten im Gedächtnis, worüber es keine Papiere gab. Mehr als einmal verlief das Taufgespräch so, dass nach und nach die ganze Familie eintrudelte und Oma sagte, wer eigentlich noch alles nicht getauft ist. Dann kamen zu dem ursprünglich neugeborenen Täufling manchmal noch der Vater, die Tante und ein Cousin hinzu. Deren Kindeskinder taufe ich jetzt.
Wobei man einen Menschen in jedem Lebensalter taufen kann, allerdings insgesamt nur einmal. Eine neue Mode unter Eltern ist daher, dass man das Kind selbst entscheiden lassen möchte, ob es getauft werden will. Ich stehe dem skeptisch gegenüber. Nicht nur dass es schade um das verlorene Begrüßungsfest ist. Es entbindet die Eltern auch nicht davon, die Kinder mit religiösen Dingen vertraut zu machen, damit sie überhaupt eine Entscheidungsgrundlage bekommen. Allerdings ist von häuslicher Frömmigkeit allgemein nicht mehr viel zu spüren. Wenn überhaupt sind es die Großeltern, die zumindest ein bisschen dafür sorgen. In der Regel wird die Taufe bei Jugendlichen während der Konfirmandenzeit gefeiert. Und ich bemühe mich, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Teenager den Augenblick am Taufstein nicht ganz so peinlich finden.