Honig im Garten

Sie saß auf dem Beifahrersitz und trug ein smaragdgrünes Sommerkleid. IMG_4328Wenn der Verkehr es zuließ, schaute ich heimlich zu ihr herüber. Sie hatte etwas Weiches, Entspanntes.
Wir kannten uns von Twitter. Dies war unser erstes Treffen und ich hatte fest vor, sie zu mögen.
Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, sah sie mich an: „Mein Synagogenschlüssel ist eine Enttäuschung, nicht wahr, aber wenigstens mache ich etwas mit Finanzen.“ „Synagogenschlüssel, Finanzen?“ „Mein Synagogenschlüssel“, wiederholte sie und zeigte auf ihre Stupsnase. „Viel zu klein für eine Jüdin. Aber wenigstens mache ich etwas mit Finanzen, da passt es dann wieder.“

An so etwas hatte ich gar nicht gedacht. Ja, es war mir sogar so weit entfernt, dass ich auf ihre Erklärung angewiesen war. Solche Witze waren in meinem Kopf wohl nicht vorhanden. Vorausgesetzt, dass das wirklich Witze waren. Schließlich kannten wir uns kaum. Glücklicherweise sorgten ein paar Ampeln und der Verkehr dafür, dass ich die Antwort, irgendeine Antwort, schuldig bleiben konnte.

Wir erreichten meine Wohnung. Ich stellte den #DiätKater vor (den #NeoKater gab es noch nicht), zeigte die Räumlichkeiten, kochte Tee und wir setzten uns in den Garten. Wieder hatte sie so etwas Weiches, Entspanntes. „Ich habe den Teelöffel für den Honig vergessen, warte, ich hole ihn.“ „Ja“, antwortete sie und blies über ihr Glas. „Was hältst du von Michel Friedman?“

Ich starrte sie an. Eine Sekunde, zwei. Nicht, dass die sich noch kennen. In meinem Nacken bildete sich ein Schweißfilm. Dann siegte die Feministin in mir. Ich gab die entsprechende Antwort, eingehüllt in eine Wolke politischer Korrektheiten. „Das sehe ich auch so“, sagte sie, „ich laufe auf dem Weg zur Arbeit immer an dem Kindergarten vorbei, in den seine Söhne gingen.“

Puh, na wenn das alles ist. Ich ging hoch, um den Teelöffel zu holen. Vielleicht war das ja nur ein Test. Ob ich auch echt bin. Aber ich hatte es wohl richtig gemacht.
Ich kam mit dem Löffel zurück, sie nahm sich Honig und rührte daraus Goldfäden in ihren Tee. So langsam entspannte sie sich wirklich, ihr Blick wirkte weich. Dann hob sie den Kopf: „Und was ist mit Martin Walser?“

Das war der Moment, in dem ich es leid war. Sie wollte Ehrlichkeit? Das konnte sie haben, da müssen wir jetzt durch. Ich gab die gewünschte Auskunft, knapp und bar jeglicher Opportunität. „Siehst du“, sagte sie, „es geht doch!“

Seit dem trafen wir uns öfter. Ich servierte Cabanossi mit Aprikosenjoghurt, weil sie das so gern mochte und wir gingen gemeinsam zum Tätowierer. Rebellische Juden kennen die Gesetze am besten, das ist seit dem meine feste Überzeugung.

Doch dann verlief es sich. Das Leben, die Liebe; keine Ahnung, was los war, der Kontakt brach ab. Man sah sich nur noch auf Selfies (sie) und Katzenfotos (ich), bis wir nach fast drei Jahren einen Abend mit Sprachnachrichten verbrachten.

Schließlich zog ich um und sie schickte mir Brot und selbstgemachtes Kräutersalz zum Einzug. Da rief ich sie an, um mich zu bedanken. Sie wirkte entspannt, ihre Stimme klang weich.