Ein Loch ist im…

Seit elf Jahren schlummerte in meinem Blogarchiv ein Post darüber, was geschehen würde, wenn die Kirche ein Loch hätte, also das Schiff ein Leck. Irgendwie hat’s mit dem Veröffentlichen nie gepasst, sodass ich den Artikel immer mal wieder vergaß. Doch heute ist es so weit: Heraus damit (unveränderte Originalausgabe) und viel Spaß beim Lesen!

Bei Echo Romeo hatten sie kürzlich das Problem, dass das „Schiff“ leckgeschlagen war. Und für KatholikInnen erstaunlich 😉 wurden etwa 30 Vorschläge unterbreitet, was zu tun sei. Da wäre es doch gelacht, wenn es das nicht auch auf evangelisch gäbe.

Darum auch hier folgendes Szenario nebst Lösungsvorschlägen: Das „Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (EG 604), also die Kirche, hat ein Leck. Was tun?

  • Der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, meldet sich als erster zu Wort: „Wenn man damals nicht die ganzen Stahlkocher entlassen hätte, wäre es jetzt kein Problem, das Leck mit einer Metallplatte zu schweißen!“
  • Die Gemeinden, völlig mit sich selbst beschäftigt, hatten von dem Leck bis dahin gar nichts mitgekriegt.
  • Die Frauenhilfen fangen sofort an Spenden zu sammeln und verbreiten die Nachricht in sämtlichen evangelischen Familien.
  • Um den evangelischen Geschwistern in ökumenischer Verbundenheit beizustehen, erhöht Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert (katholisch) die Anzahl seiner Gastpredigten in evangelischen Kirchen von fünf auf zehn pro Sonntag.
  • Ein begeisterter Fußballfan, Mitglied des „Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD“, erkundigt sich, ob das Leck als Torwand geeignet sei.
  • Die Evangelikalen, die das Leck beim Beten in „Shampoohaltung“ (Adrian Plass) als erste entdeckt hatten (irgendwer hatte geblinzelt), bitten die Charismatiker, das Schiff auf ihren erhobenen Armen aus dem Wasser zu tragen.
  • Die liturgische Szene lässt sich davon nicht erschüttern. Wer eine evangelische Messe unterbrechen will, muss ganz andere Geschütze auffahren und versus orientem sieht man das Leck ohnehin nicht.
  • Die Ev. Studierendengemeinde (ESG) erarbeitet in zwei schweißtreibenden Nachtschichten eine Resolution, in der sie sich von dem Leck distanziert.
  • Prof. Dr. Margot Käßmann veröffentlicht ein Buch, in dem sie schonungslos über ihre Erfahrungen mit Lecks berichtet und das sie in 43 Interviews und 97 Gastlesungen dem interessierten Publikum vorstellt.
  • Von den 22 Gliedkirchen der EKD beschließen sieben, den „Pfarrstellenkorridor vorerst nicht zu erweitern“, um die Behebung des Lecks zu finanzieren, drei Landeskirchen können finanziell weitermachen wie bisher, vier Landeskirchen, die das eigentlich nicht könnten, tun es trotzdem und die restlichen acht schließen sich der Lösung an, die sie gerade für opportun halten.
  • Die Mystikerin und Meditationsleiterin Brunhilde Wesendonk entdeckt das „Leck in mir“.
  • Die Diakonischen Werke schlagen vor, alle Schiffsteile, die sich unterhalb der Wasserlinie befinden, outzusourcen.
  • Der Schiffsingenieur Klaus Westerdüne (Christen in der Wirtschaft) berichtet exklusiv in einem Blog auf evangelisch.de über den Fortgang der Ereignisse.
  • Die juristischen Oberkirchenräte der einzelnen Landeskirchen entscheiden, die Kirchenordnungen der durch das Leck veränderten Lage anzupassen; weiterführende Lösungen sollen durch Verordnungen erleichtert werden.
  • Wie üblich gehen die Kirchengesetze in der presbyterial-synodal verfassten evangelischen Kirche den Presbyterien und der Kreissynode zur Beratung und empfehlenden Beschlussfassung zu.
  • 70% der Presbyterien nehmen den Gesetzestext ungelesen zur Kenntnis, 30% korrigieren die Tippfehler der Vorlage.
  • Der Weltgebetstag beschließt, dass das Land mit dem leckgeschlagenem Schiff in 23 Jahren als nächstes mit dem Vorbereiten der „Liturgie“ dran ist.
  • Die Reformierten halten das Leck für ein Symbol, das die Gemeinschaft fördert.
  • Die Lutheraner wissen, dass das Leck real präsent ist.
  • Die Unierten können sich weder für das Eine noch für das Andere entscheiden und lassen das Leck erst einmal offen.
  • Die Landeskirchlichen Gemeinschaften bohren ein Extra-Leck, das zwar kleiner, für sie aber das einzig Annehmbare ist.
  • Ein Fundraiser schlägt vor, das Leck mit einem Spendentrichter abzudichten.
  • Der Grüne Hahn lädt drei unabhängige Institute ein, Wasserproben auf Schadstoffe zu untersuchen.
  • Die Pfarrerstochter Angela Merkel sagt nichts zu dem Leck, kann aber sämtliche Gesangbuchlieder zum Thema „Wasser“ auswendig.
  • Presbyter i.R. Wilhelm Hagelkötter ist zutiefst enttäuscht über das Verhalten der heutigen Kirche: Was wäre man im Steckrübenwinter dankbar für so ein schönes Leck gewesen.
  • Mehrere katholische Laien fragen an, ob sie bei den Projekten rund um das Leck mitmachen dürfen, da ihre eigene Kirche nichts anbiete.
  • Die Ev. Jugendarbeit schnappt sich fünf Eimer und bildet mit 150 KonfirmandInnen eine Menschenkette, um den Schiffsrumpf leerzuschöpfen.
  • Pfarrerin Lieschen Müller schlägt in der Pfarrkonferenz vor, nicht lange zu diskutieren, sondern das Leck einfach mit etwas Stroh und Pech zu flicken. Ihre KollegInnen reagieren empört: So einfach könne man es sich nicht machen!
  • Am Sonntag nach Entdecken des Lecks wird in 86% aller evangelischen Gottesdienste dafür gebetet, dass Gott die physikalischen Gesetze des Wasserdrucks ändern möge, in 10% wurde entschieden, dass man bei all dem Leid in der Welt nicht alles und jedes mitmachen könne und 4% haben das Thema glatt vergessen.
  • Die theologische Fakultät der Universität Bömmelheim bietet eine Ringvorlesung zum Thema „Das Leck vor dem Horizont der Barmer Theologischen Erklärung“ an.
  • Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, lehnt sich entspannt zurück. Für die kommenden zwei Wochen ist er aus der Schusslinie.
  • Auf dem nächsten Kirchentag soll es ein eigenes „Zentrum des Lecks“ geben. Als Referenten für die dortigen Bibelarbeiten sind die Ministerpräsidenten der küstennahen Bundesländer angefragt.

Das Bild (Ausschnitt) malte Jakob Isaakszoon van Ruisdael.
Das EG ist die Ausgabe für Rheinland, Westfalen, Lippe.