Josel von Rosheim

Ich würde glatt wetten, dass die Meisten diesen Namen noch nie gehört haben. joselganz.jpg
Selbst kenne ich ihn auch erst seit dem letztem Herbst. Da erzählte mir ein Kollege in der Gemeinde, dass er eine Ausstellung über diesen Mann plant:
Josel von Rosheim war ein elsässischer Rabbiner zu Zeiten Luthers und als solcher erst lokal und schließlich reichsweit unterwegs, um Konflikte zwischen Juden und Christen zu schlichten, Verträge auszuhandeln und politische Strukturen zu schaffen, in denen Juden möglichst gefahrlos leben konnten. Er und Luther haben sich vermutlich gekannt, es gibt einen Brief Luthers, der Josel ausgesprochen freundlich anredet, um ihm wenige Sätze später jede Unterstützung zu verweigern.

Darum ging es uns nämlich: Wir feiern im Lutherjahr 500 Jahre Reformation in allen Facetten, die der Protestantismus hergibt, aber Luthers Antisemitismus wird unter den Tisch gekehrt, damit er niemandem die Festlaune verdirbt.
Mein Kollege, schon länger im jüdisch-christlichen Dialog unterwegs, wollte das nicht mitmachen und holte deswegen die Ausstellung über Josel erstmalig ins Ruhrgebiet, also nach „Norddeutschland“. Als ich das hörte, stieg ich mit ein.

So konnten wir mit Josel eine starke jüdische Persönlichkeit in der damaligen Situation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zeigen, statt bei der immerwährenden Opferzuschreibung samt dem Verschweigen stehen zu bleiben. Gleichwohl setzten wir dem Luthers antisemtischen Texte gegenüber; seine Hetzschrift „Von den Juden und ihren Lügen“ wurde gerade als kommentierte Ausgabe neu herausgebracht, immerhin.

Überhaupt eignet sich die Figur Josels – wie ich finde – sehr gut (nicht nur) als kirchengeschichtliches Examensthema, ich stelle eine Literaturliste von Chajm und mir ans Ende dieses Posts. Und keine Ahnung, was man im Judaistik- oder im Geschichtsstudium so lernt, aber auch die Historikerin Selma Stern ist eine eigene Betrachtung wert. Ihre Biographie Josels ist klug geschrieben und wunderbar zu lesen.

3-joselmitchajm.jpgDie Vernissage verlief ereignisreich. Ich konnte Chajm gewinnen, Josel und sein Leben aus jüdischer Perspektive zu beleuchten, damit nicht nur Christ_innen über Juden, sondern wir tatsächlich miteinander sprechen. Die jüdische Ortsgemeinde und die Dialogszene waren eingeladen und ein evangelischer Lehrer i.R. mit Sprecherausbildung las Luthers Pamphlete vor, dass mir das Blut in den Adern gefror.

Mit Josel bin ich zum ersten Mal in der jüdisch-christlichen Zusammenarbeit unterwegs gewesen, hatte ich doch meine Gespräche mit Juden bisher fast nur in der Teeküche und beim Bier im privaten Umfeld geführt. Klar würde das auf einer Vernissage anders sein. Ich selbst war da ja auch im Dienst und verhielt mich folglich anders als zu Hause in der Gartenlaube. Schön war, als ich mich bei der Vorbereitung mit dem Lehrer unterhielt und ihm erzählte, dass ich mein Schulvikariat an einer Anne-Frank-Schule gemacht habe, in der mehr als ein Drittel der Kinder muslimisch war. Da strahlte er über das ganze Gesicht. Es kam raus, dass er dort einer der Lehrer war, der sich für die Namensgebung der Schule eingesetzt hatte.

Bemerkenswert fand ich schließlich, dass die Dialogleute (wie alle Peergroups) ihre eigene Art haben, über Dinge, die sie beschäftigen, zu sprechen. Besonders stach für mich hervor, wie an dem Abend auf einmal alles (!) eine Bedeutung bekam. Wenn ein Jude etwas Nettes, Kluges oder Freundliches sagte, war es immer gleich „ein Schritt aufeinander zu“ oder „hilfreich“, während die Christen „Signale senden“ oder „Dinge benennen“. Das habe ich bisher in keinem anderen Zusammenhang in der Arbeit mit Minderheiten oder Gremien so erlebt.
Eine gewisse Verwunderung hallt darum in mir nach, wohl auch weil sich mein Zugang zu politischer Arbeit in den letzten Jahren sehr verändert hat, das bebrüte ich schon länger. Zugewandt waren (ob Juden oder Christen) aber alle, das soll hier niemand missverstehen.

Insgesamt ist die Ausstellung eine kleine, großartige Sache, für die ich sehr dankbar bin. Ich konnte mich so im Lutherjahr an einer Stelle einbringen, die mir wichtig ist und von der ich meine, dass sie im Jubiläumsjahr deutlich zu kurz kommt.

Literatur:

Simon Dubnow: Der Kampf ums Recht. Karl V. und Josel von Rosheim (1520-1556). Bd. 6, Kapitel 23, in ders. (Hg.): Weltgeschichte des jüdischen Volkes. Von seinen Uranfängen bis zur Gegenwart; in zehn Bänden, S. 206-217

Ludwig Feilchenfeld: Rabbi Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter, Straßburg 1898

Volker Gallé (Hg.): Josel von Rosheim – Zwischen dem Einzigartigen und Universellen. Ein engagierter Jude im Europa seiner Zeit und im Europa unserer Zeit, Worms 2013

Moses Ginsburger: Josel von Rosheim und seine Zeit,
Gebweiler 1913

Julius R. Höxter: Joselmann von Rosheim. (Joseph Loans.). Bd. 4, in ders. (Hg.): Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, Frankfurt am Main 1928, S. 84-87

Isidor Kracauer: „Rabbi Joselmann de Rosheim“,
Revue des études juives, 1888

Marcus Lehmann: Rabbi Joselmann von Rosheim. Eine historische Erzählung aus der Zeit der Reformation, Frankfurt am Main 1879
(2 Bde.)

Reinhold Lewin: Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Berlin 1911

Martin Luther: Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei, WA 11,
S. 307-336

Ders.: An Josel von Rosheim. 11. Juni 1537, WA Briefe 8, Nr. 3157, S. 89-91

Ders.: Von den Juden und ihren Lügen. Neu bearbeitet und kommentiert von Matthias Morgenstern, Wiesbaden 2016 (3)

Selma Stern: Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, München 1959